Wer keine Wohnung findet, braucht kreative Ideen. Tobias Baldauf

Die Leiden der Zimmersuchenden

Teuer, klein und befristet. Zürichs Wohnungsmarkt ist ausgetrocknet und Studierende verzweifeln. Ein Lagebericht.

28. April 2010

«Die Wohnung ist mitten in der Stadt im zweiten Stock. Die Leute stehen im ganzen Treppenhaus bis zur Strasse. Dennoch bin ich erneut voller Hoffnung. Letztlich sehe ich mir die Wohnung aber gar nicht richtig an. Meine Ansprüche sind enorm gesunken. Ich möchte endlich eine Wohnung!» Ungern erinnert sich die 23-jährige Geografiestudentin Kathrin. Doch auch bei dieser Stadtwohnung gab es schliesslich wieder eine Absage. Zuvor hatte sie ein halbes Jahr lang in der Stadt nach einer Wohnung gesucht. «Das war sehr nervenaufreibend.» Seit Januar wohnt sie mit zwei Freundinnen beim Bucheggplatz in einer Genossenschaftswohnung. Doch ihr Glück ist von kurzer Dauer. Der Mietvertrag ist befristet. Bereits im September steht sie wieder ohne Dach über dem Kopf da.

Mit diesem Schicksal ist die junge Studentin nicht alleine. Die Wohnungen in Zürich sind knapp. Gemäss einer Studie der Studentischen Wohngenossenschaft Zürich (Woko) wollen rund 7000 Studierende ein neues Zimmer – und sie sind längst nicht die einzigen. Junge Paare, Familien, Alleinstehende, sie alle suchen ebenfalls Wohnungen. Die Nachfrage ist riesig, das Angebot klein. Geregelt wird das wie auf jedem Markt hauptsächlich nach dem Geld – die Studierenden können da weit hinten anstehen. Marilen, eine 23-jährige Studentin der Pädagogischen Hochschule Zürich hat mit ihren beiden Freundinnen über sieben Monate nach einer Wohnung Asschau gehalten. Sie ist überzeugt davon, dass es gerade Studierende nicht leicht haben: «Studierende haben es besonders schwer, eine Wohnung zu finden, da sie kein hohes Einkommen haben und die meisten Vermieter gegenüber Studierenden in Bezug auf Lärm und Zuverlässigkeit skeptisch sind.»

4000 Zimmer für Studierende

Ganz allein nach dem Geld richtet sich der Wohnungsmarkt zum Glück nicht. So gibt es verschiedene Stiftungen, die sich darum bemühen, bezahlbare Wohnungen für Studierende bereit zu stellen. Die Woko vermittelt jährlich rund 1000 Wohnungen an Studierende, beim Jugendwohnnetz sind es einige Hundert. Hinzu kommt das Angebot der Universität Zürich und ETH, welche im 2009 auf 2200 Objekte zurückgreifen konnten. Die Preise pro Zimmer bewegen sich zwischen 300 und 600 Franken – alles bezahlbare Wohnungen also, nur sind es zu wenige. Die Stiftungen und Vermittlungsstellen sind gezwungen zu selektionieren. Für ein Zimmer des Jugendwohnnetzes ist das Alter entscheidend. Wer älter als 25 ist, kann sich gar nicht erst bewerben. Die Woko stellt die Bedingung, dass man an einer (Fach-) Hochschule immatrikuliert ist. Bei der Zimmer- und Wohnungsvermittlung der Uni/ETH Zürich inserieren Private, doch nur Studierende der beiden Universitäten haben Zugang.

Platz in befristeten Wohnungen

Die Studierenden richten sich bei der Wohnungssuche vor allem nach dem Preis. Laut der Studie der Woko können 15 Prozent der Studierenden nicht mehr als 500 Franken für ihr Zimmer bezahlen. Zu diesen Konditionen gibt es auf dem offenen Wohnmarkt eigentlich nur eine Art von Zimmern – solche, die bald renoviert werden. Auch Kathrin lebt in einer solchen Wohnung. Sie sieht den Grund für die Renovation aber nicht in der Baufälligkeit der Wohnung: «Sicher entspricht die Wohnung nicht den Minergiestandards, aber sie ist in einem guten Zustand. Eine Renovation steigert jedoch den Wert der Wohnung und sie kann teurer weiter vermietet werden.» Selbst vor Genossenschaftswohnungen macht die Preissteigerung nicht Halt. Das könnte eine Folge der Gentrifizierung sein. Dabei ziehen reichere Schichten, die in einer früheren Phase der Stadtentwicklung ins Umland gezogen sind um sich dort ein Einfamilienhaus zu bauen, zurück in die Stadt. Das Image der Kernstadt hat sich in den letzten Jahren stark verbessert, sodass der Trend Gutverdienende in die Stadt treibt und diese dann ärmere Schichten verdrängen. Sind die Studierenden gezwungen, als Lückenbüsser in Wohnungen zu wohnen, die renoviert werden, um sie später teurer zu vermieten? Daniel Kübler, Professor für Demokratieforschung und Public Governance nuanciert: «Solche Zwischennutzungen, bei denen Wohnungen kurzfristig billig vermietet werden, dienen dazu, Besetzungen zu verhindern. Dass immer mehr Wohnungen renoviert werden und die Preise steigen, hängt nicht nur von der urbanen Transformation ab. Diese Entwicklung ist eine allgemeine Folge des ausgetrockneten Wohnungsmarktes.»

Vorbildliche Wohnpolitik

Zürich ist neben einem wichtigen Hochschulstandort vor allem auch ein Wirtschaftsstandort. Grosse Firmen wie Google oder Microsoft locken zahlreiche hochqualifizierte Arbeiter an, die in der Stadt wohnen möchten. So verwalten diese Firmen zahlreiche «business locations», welche teilweise nur drei Monate im Jahr bewohnt sind. Gleiches gilt für Zweitwohnungen, die sich Wohlhabende in Zürich leisten können. Was macht die Stadt Zürich also falsch? «Die Stadt macht nichts falsch», findet Kübler. «Sie betreibt schon seit dem 19. Jahrhundert als einzige Gemeinde eine aktive Wohnpolitik. In den umliegenden Gemeinden gibt es jedoch viel weniger billigen Wohnraum, welcher die Stadt entlasten könnte. Dafür sollte der Kanton mit einer einheitlichen Wohnpolitik sorgen. Denn ob man nun in Schwamendingen oder in Dübendorf wohnt, macht für die Studierenden keinen grossen Unterschied.»

In der Tat, der Stadtregierung kann man kaum einen Vorwurf machen. Sie ist sich der Bedeutung des Hochschulstandorts bewusst und gewillt, weiteren Wohnraum zu schaffen. Daran arbeitet sie mit Hochdruck. 1998 versprach der Stadtrat «10’000 Wohnungen in zehn Jahren». Bereits nach acht Jahren war das Ziel erreicht und in ähnlichem Tempo geht es weiter. Kürzlich hat die Stadt einen Jugendwohnkredit mit 20 Millionen gesprochen. Damit sollen nun bis 2014 drei grössere Projekte realisiert werden. So entstehen rund 850 neue Zimmer, wobei schon im nächsten Jahr die ersten Studierenden einziehen können. Trotz allen Bemühungen: Die von der Stadt geschätzte Nachfrage von rund 6000 Zimmern kann so natürlich nicht gedeckt werden.

Wut im Bauch

Der Zürcher Stadtrat Martin Vollenwyder schlägt in die gleiche Kerbe wie Daniel Kübler und wirft die Frage auf, ob es denn für die Studierenden nicht auch möglich sei, ausserhalb der Stadt zu wohnen. Dies tun bereits zahlreiche Studierende. Aber eben: «Auch in den Agglomerationsgemeinden ist das Angebot schon knapp. Die Wartelisten für Wohnungen in Städten wie Uster oder Bülach werden immer länger», erzählt Kathrin.

Sie fordert radikale Änderungen, doch diese sind nicht in Sicht. Das ist frustrierend. Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch sagt sie: «Statt diesem scheiss Prime Tower sollten sie lieber ein Hochhaus mit Studentenwohnungen hinstellen. Diese Wohnungssuche nervt grauenhaft!»