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Duell: Saufen

Comic

2. März 2010

Dafür

Was wäre das Leben ohne ihn, den gepflegten Rausch unter Freunden. Alkohol ist die Volksdroge Nummer Eins der westlichen Hemisphäre, überall erhältlich und für jeden erschwinglich. Mit 8,7 Litern reinem Alkohol trank sich der Durchschnittsschweizer das letzte Jahr wenigstens zeitweise schön. 8,7 Liter Eskapismus, die unzählige Wochenenden in Ferien vom Alltag verwandelten.

Saufen ist so alt wie die Kulturgeschichte des Menschen. Egal ob Griechen oder Römer, Ägypter oder Germanen: Gemässigter Alkoholkonsum gehörte genauso zum Zusammenleben wie ausufernde Trinkgelage bis zur Bewusstlosigkeit.

Von einigen Unterbrüchen abgesehen, bleibt das soziale Trinken bis heute ein Teil des westlichen Lebensstils. Und egal ob Van Gogh, Bukowski oder Hemingway – Säufer zeichnen sich verantwortlich für unzählige kulturelle Errungenschaften. Kaum ein Zufall, baut Alkohol doch Schranken ab und steigert Emotionen.

Für alles von der täglichen Selbstbeherrschung Aufgestaute bietet der Rausch ein (mehr oder minder kontrolliertes) Ventil. Was passiert, wenn man den Menschen dieses Ventil verbietet, veranschaulicht die Prohibition der 20er Jahre – Mord und Totschlag stiegen an. Das Alkoholverbot hat seine Ziele in keiner Weise erreicht, sondern im Gegenteil dem Gangstertum erst richtig zum Aufschwung verholfen.

Freies Trinken dagegen wärmt das Herz, und lässt auch den Schüchternsten für einige Stunden zum Don Juan werden. Einige Gläser zuviel und die Gefühle sind frei, man fühlt sich grösser, viel intelligenter und natürlich nicht zuletzt extrem viel schöner als man in der nüchternen Wirklichkeit eigentlich ist. Auch wenn vom ganzen Spass Stunden später nur noch Kopfweh und Erinnerungen an sinnbefreite Gespräche überlebt haben, bleibt doch die befreiende Einsicht, dass die Anderen (hoffentlich) genauso blau waren, und man nicht als Einziger die Ansprüche auf ein menschlicheres Niveau runterschraubte.

Ein Leben ohne Rausch wäre ein Leben ohne wirkliche Fluchtmöglichkeit. Ein Leben voller Anspannung und andauernder Selbstbeherrschung. Was dann mit dem ganzen angestauten Frust passiert, zeigen überzeugte Abstinenzler von Adolf Hitler bis Mohammed Atta.

Dagegen

Traurig aber wahr! Sucht man nach einer Gemeinsamkeit zwischen Spanien und der Schweiz, stösst man unweigerlich auf den Botellón, oder zu Deutsch das Massenbesäufnis. Im August 2008 machte er in den Medien die Runde. Scheinbar reicht es nicht, wenn das Niederdörfli am Wochenende regelmässig von Saufbolden verkotzt wird. Nein, auch die Wiese am Zürihorn musste in besagtem Sommer literweise Flüssignahrung aufnehmen. Die Grünfläche war danach gesperrt. Die Blödheit der Teilnehmer reichte gar so weit, dass sie Glasflaschen an Stelle von PET verwendeten, so dass die städtische Putzequipe am Morgen danach Glassplitter zwischen den Brechpfützen zusammenrechen durfte. Ähnliches vernahm man in jenem Sommer auch aus Genf.

Wie schlimm muss es um das kulturelle Angebot bestellt sein, dass man sich lieber die Kante gibt statt ins Kino, an ein Konzert, ins Theater oder einfach auf eine altbewährte 80er Party zu gehen? Suchen wir neuerdings den schnellen unspektakulären Rausch, den Quickie aus der Flasche, den flüssigen Blick am Abend?

Wenn wir nicht aufpassen, geht es uns bald ebenso wie dem armen Boris Jelzin, der im Weis­sen Haus einst so traurig viel getrunken hatte, dass er in Unterhosen ein Taxi rufen wollte.

Eh man sichs versieht, entwickelt sich am Zürihorn aus dem Botellón eine ganzjährige Fasnacht. Nicht zu denken, was mit unserem Land geschehen wird, wenn wir erst so weit verkommen sind. Dann wird es uns grad ebenso gehen wie den armen Römern. Die begriffen nicht, welch verheerende Folgen die exzessiven Trinkgelage haben würden. Aber sie mussten ja alles von den Griechen kopieren – auch Dionysos, der Gott des Weins und der Ekstase, wurde kurzum zum Bacchus umgemodelt. Und so feierten sie jedes Jahr ihre Saufgelage – die Bacchanalien. Dort feierten die Römer so laut und wirr, dass man getrost mal einen unliebsamen Senator ermorden konnte. Und wo ist die römische Kultur heute? Verstaubt ist sie, vergessen. So nutzlos geworden, dass man sich an den Schulen und Gymnasien sogar fragt, ob überhaupt noch Latein gelehrt werden soll. Ja, wenn wir Schweizer nicht aufpassen, wird unser Land zugrunde gehen, während wir nackt und besoffen auf den Wiesen liegen.