Adrian Meyer

Prototyp eines Mathematik-Professors

Historische Persönlichkeiten äussern sich zu Studiums-Sorgen. Dieses Mal: Rudi Dutschke.

25. November 2009

So wie ich heute Morgen erwache, ist mein Kopf für einmal nicht voll mit Formeln, Matrizen und Algorithmen. Es fühlt sich gut an, nicht gleich drei Stunden an einer mathematischen Lösung arbeiten zu müssen, bevor ich überhaupt zum Frühstücken komme. Forsche ich intensiv an neuen Algorithmen, kann es gut und gerne vorkommen, dass mir eine Lösung über Nacht zuschwirrt. Diese Eingebung kann ich dann nicht bis nach der Morgentoilette verschieben!

Mental ist das natürlich nicht das Gesündeste. Das war mir, als ich noch ledig war, auch egal. Heute ist das anders. Meine Frau und unsere Tochter kann das nämlich richtig zur Weissglut treiben, wenn ich den Sonntagsbrunch verpasse. Sowieso ist es für meine nichtmathematischen Mitmenschen unverständlich, wenn ich mich für einige Stunden in meinem Mathe-Kämmerchen einbunkere und nicht gestört werden will. Die verstehens einfach nicht! Mathematische Probleme lassen sich nämlich nicht häppchenweise lösen. Das ist nicht wie Müsliessen mit der Familie. Natürlich fordert die Familie ihr Recht nach mehr Aufmerksamkeit ein. Das bringt mich bisweilen auch ganz schön ins Schwitzen. Leider habe ich aber für vorprogrammierte Konflikte noch immer keine passende Formel parat.

Wenn ich mir das recht überlege, entspreche ich voll und ganz dem Prototypen eines Mathematik-Professors. Aber ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Ich schaue mir auf keinen Fall die Serie «Numb3rs» im Fernsehen an, bei der Mathematik die Lösung für Mordfälle liefert. Mathefreie Zeit muss sein.

Ich glaube übrigens auch nicht, dass sich alles mit der Mathematik erklären lässt. Doch zurück zur Realität. Ich sitze am Frühstückstisch und betrachte mein Drei-Minuten-Ei. Was war wohl zuerst da? Huhn oder Ei? Die Mathematik kann natürlich nicht die grundlegendsten Fragen des Universums und des menschlichen Lebens beantworten. Zwar mag Douglas Adams’ Supercomputer Deep Thought in «Per Anhalter durch die Galaxie» auf die ultimative – aber schlecht gestellte – Frage nach dem Leben, dem Universum und allem nach Millionen von Jahren Berechnungszeit mit der Zahl 42 antworten. Doch die genaue Frage auf diese Antwort ist unmöglich zu berechnen, nicht einmal mit einem noch grös-seren Supercomputer.

Somit können wir Mathematiker uns recht einfach aus solchen Fragestellungen rauswinden: Denn schlecht gestellte inverse Probleme sind schlichtweg meist nicht lösbar. Mein Frühstücksei schmeckt mir deswegen aber genauso gut.

Prof. Dr. Daniel Kressner

Nach seinem Abschluss an der Technischen Universität Chemnitz 2001 machte der gebürtige Deutsche 2004 seinen Doktor in Mathematik an der TU Berlin. Seit 2007 ist er Assistenzprofessor am Seminar für angewandte Mathematik an der ETH Zürich.