Die Medien fragen immer wieder dieselben Gesichter wie Daniel Jositsch oder Kurt Imhof. Samuel Nussbaum

Ein Experte für jeden Zweck

Warum sprechen manche Professoren in den Medien über Bologna und Botellón, andere dagegen nicht einmal über ihr eigenes Fachgebiet?

25. November 2009

Vorbei und vergangen ist das Bild vom Elfenbeinturm. Der moderne Wissenschaftler geht souverän mit Medien um. Er steht gekonnt in der «Arena» Red und Antwort und gibt seine Expertise zu öffentlichen Themen.

Doch zu viel Medienpräsenz ist verdächtig. In einigen Fällen wohl zu Recht. Da gibt es den Fall aus Deutschland, wo ein «Professor» des «Instituts für Rationelle Psychologie» die Medien jahrelang mit vermeintlich sensationellen Schlagzeilen narrte. Seine Befunde lauteten sinngemäss: «Sex im Flugzeug hat signifikant zugenommen» oder «CDU/CSU-Wähler bevorzugen grosse Brüste». Ein aufdeckender Artikel im Magazin «ZeitWissen» mündete schliesslich darin, dass Fachkollegen eine Anzeige gegen Professor Ertel erstatteten. Grund: Er trage den Titel des Professors zu Unrecht.

Medialisierung der Wissenschaft

Anders als Ertel, dessen Zwei-Mann-Unternehmen jährlich Millionen mit halbseriösen Auftragsstudien umsetzte, bringt wirklichen Wissenschaftlern die Präsenz in den Medien keinen direkten, finanziellen Ertrag ein. Dennoch sah in einer aktuellen internationalen Studie mehr als die Hälfte der führenden Akademiker den Kontakt zu den Medien als Gewinn an. Vier von zehn Wissenschaftlern betrachteten Medienberichterstattung gar als karrierefördernd. Präsenz in den Medien hilft den Akademikern, Popularität für ihren Lehrstuhl aufzubauen und in einem zweiten Schritt Forschungsgelder zu fordern. «Legitimationsbedarf der Wissenschaft» nennt sich das im Fachjargon. Aktive Medienarbeit von universitären Instituten (zum Beispiel von Pressestellen) ist ein Anzeichen dieser Entwicklung. Die Wissenschaft folgt in diesem Sinn – genauso wie etwa die Politik – weitgehend der Medienlogik. Diese These der Medialisierung der Wissenschaft wird zurzeit von führenden Medienwissenschaftlern vertreten.

«Fragen Sie doch den Herrn Imhof»

In der Zürcher Medienlandschaft besonders beliebt ist die Direktwahl zum Allzweckexperten Kurt Imhof (siehe Interview). Der «Tages-Anzeiger» wählte ihn deshalb unter dem Titel «Der Mann, der alles weiss» kürzlich in ein erlauchtes Gremium der 20 Intellektuellen des Landes. Mit seiner Omnipräsenz macht er also seinen Einfluss auf Gesellschaft und Politik geltend. «Journalisten mögen Wissenschaftler, die Stellung beziehen», erklärt Heinz Bonfadelli, Imhofs Kollege am Institut für Publizistikwissenschaften. Er merke bei Medienanfragen selbst, wie Journalisten funktionieren. «War man einmal drin, rufen sie einem immer wieder an.» Irgendwann stelle sich bei ihm der Sättigungseffekt ein, das heisst, dass er keine Anfragen mehr bearbeiten will. Dann sagt er: «Fragen Sie doch den Herrn Imhof.» Und der Journalist entgegnet, selbstreflexiv: «Den haben wir eben sonst schon immer in der Zeitung.»

Natürlich sind bestimmte Fachgebiete für Medienanfragen besonders interessant. Neben Kurt Imhof (Soziologie und Medien) erscheinen auch die Namen von Georg Kohler (Politische Philosophie), Daniel Jositsch (Recht) und Dieter Ruloff (Internationale Beziehungen) auffallend häufig in den Medien. Neben dem Fachgebiet sei aber die Persönlichkeit durchaus entscheidend, ob ein Wissenschaftler die mediale Logik erfüllt, so Bonfadelli. «Gewisse Professoren geniessen es, im Rampenlicht zu stehen», sagt er. Andere akzeptieren es konsequent nicht, wenn ihre Aussagen zu Gunsten der Verständlichkeit vereinfacht werden.

Im Trend: Professor, Politiker

Der Fall von Daniel Jositsch ist besonders, weil er den Medien nicht nur als Politiker, sondern auch als Rechtsexperte Red und Antwort steht. Interessant ist, dass von den grossen Parteien fast alle ein Aushängeschild an der Universität oder ETH Zürich haben. Neben Jositsch (SP) führt auch Christoph Mörgeli (SVP) einen Lehrstuhl an der Universität, wobei Letzterem die Politikertätigkeit für seine wissenschaftliche Karriere eher im Weg zu stehen scheint. Nicht zuletzt wegen seinem regen politischen Engagement schied er im Rennen um den Vorsitz am medizinhistorischen Institut frühzeitig aus. Felix Gutzwiller (FDP) wiederum ist Institutsleiter des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin, wobei auch er der vielen Nebenmandate wegen schon in (mediale) Kritik geraten ist. Bastien Girod (Grüne) ist noch nicht ganz so weit, doch auch er befindet sich in der wissenschafltichen Warteschlaufe (er doktoriert an der ETH). Die Hochschulen haben also ihre politischen Imageträger. Das stört die Universität nicht. «Kein Problem», sagt Universitätssprecher Müller. «Wir gehen davon aus, dass die Betreffenden bei entsprechenden Auftritten klar in der Funktion des Politikers und nicht als Repräsentant der Universität Zürich auftreten.»

Positives Beispiel Felix Gutzwiller

Auch Medienexperte Bonfadelli sieht eine mögliche Abfärbung des Images vom Politiker auf die Hochschule eher positiv. «Die Unis sehen gerne, wenn ihre Professoren in den Medien sind.» Als solches Beispiel nennt Bonfadelli Felix Gutzwiller, der für das Image der Universität wichtig sei. Es gibt aber auch Gegenbeispiele, wie das Beispiel Ulrich Thielemann von der Universität St. Gallen zeigt. Der deutsche Wirtschaftsethiker hatte sich mit seinen Aussagen über die Schweiz vor rund einem halben Jahr unbeliebt gemacht. Vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags hatte Thielemann der Schweiz fehlendes Unrechtsbewusstsein in Bezug auf das Bankgeheimnis und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Beinahe hätte er damit seinen Arbeitsplatz an der renommierten Wirtschafts-Ausbildungsstätte verloren. Die Universität beliess es damals dabei, fest zu halten, dass Thielemann nicht die Meinung der Universität vertreten habe. Trotzdem schied der Deutsche im Rennen um den frei gewordenen Direktorposten des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik frühzeitig aus.

Allgegenwärtige experten

Medienpräsenz im Vergleich mit den ForscherkollegInnen innerhalb von einem Jahr (in Anzahl Artikel).

Publizistik

Kurt Imhof 118

Heinz Bonfadelli 24

Otfried Jarren 17

Werner Wirth 10

Gabriele Siegert 9

Frank Esser 6

Soziologie

Kurt Imhof 118

Hans Geser 8

Marlis Buchmann 3

Marc Szydlik 3

Eldad Davidov 1

Jörg Rössel 0

Quelle: SMD (Schweizerische Mediendatenbank, www.smd.ch)