Hat die Protestbewegung nun endlich Zürich erreicht. Tobias Nussbaumer

Die Fackeln sind erloschen

Was die Bewegung im Ausland heute will, forderten wir in Zürich schon in den 90er Jahren. Trotzdem dürfen wir uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen.

25. November 2009

Fackeln, Kerzen und Laternen erleuchten die engen Gassen des Niederdörflis. 8000 Studierende, Gymnasiasten und Dozierende ziehen von der Uni zum Münsterhof. Auf Leinentüchern tragen sie ihre Anliegen an die Öffentlichkeit. «No more Buschor», lautet die Parole. Deutlicher gehts nicht. Der damalige Bildungsdirektor des Kanton Zürichs steht für alles, wogegen die Studierenden sich wehren. An der «Lux-Parade» verschaffen sie ihren Anliegen Luft und zwar richtig. Vor dem Münsterhof fordern die Demonstrierenden «Nehmt uns ernst, gebt uns Bildung!». Sie setzen sich damit gegen den drohenden Bildungsabbau, gegen die Studienzeitbegrenzung von zwölf Semestern, gegen höhere Studiengebühren und den Numerus Clausus zur Wehr. Das war am 28. November 1996.

Die aufmüpfigen Jahre sind vorbei

Mit der «Lux-Parade» bäumte sich die Studierendenschaft für lange Zeit das letzte Mal gegen die Bildungsdirektion des Kantons auf. Die Luft war draussen. Heute haben sich die Studierenden an die Studiengebühren gewöhnt. Auch der zunehmende Einfluss der Privatwirtschaft hat bis vor kurzem bei den Studierenden noch keine hohen Wellen geschlagen. Mit der Besetzung von Lehrstühlen hapert es nach wie vor. Wenn die Universitätsleitung Lehrstühle neu besetzt, orientiert sie sich primär an den Errungenschaften in der Forschung, anstatt die didaktischen Qualifikationen der Professoren zu prüfen. In jeder 15-Minuten-Pause kann man Diskussionen über schlechte Dozierende und Bolognaschikanen mithören. Es verblüfft, dass diese Stimmen so lange nicht laut wurden. Die aufmüpfigen Jahre schienen vorbei zu sein. Stille hatte Einzug gehalten im Elfenbeinturm.

Ganz anders ist die Situation für österreichische und deutsche Studierende. Ihnen müssen die Studienbedingungen an den Schweizer Universitäten paradiesisch erscheinen. Bei unserem östlichen Nachbarn betreut ein Dozent im Schnitt 194 Studierende. Zum Vergleich: An der Uni Zürich sind es 56 pro Professor. Die Devise, jeder soll studieren, was er will, solange er will, wo immer er will, scheint nicht zu funktionieren – weder in Österreich noch bei uns. Denn bereits 1993 gingen Zürcher Studierende mit der Forderung «Bildung für alle!» auf die Strassen. Die Möglichkeit zu studieren sollte fortan nicht mehr vom Einkommen der Eltern abhängen. Zudem sollte das Studienangebot in Zürich trotz Geldnöten nicht abgebaut, sondern vergrössert werden. Der Erfolg blieb aus.

Die Folgen einer solchen Bildungspolitik erleben wir zur Zeit in Österreich. Diesen Unis wurden die fehlenden Studiengebühren und der Slogan: «Studiere, was du willst, solange du willst» zum Verhängnis. Denn dieses verführerische Angebot lockte die deutschen Nachbarn in Scharen nach Wien, Graz, Linz und andere österreichische Universitätsstädte. Deutsche Studierende haben es in der Heimat wesentlich schwerer als im Ausland. Jeder, der studieren will, muss einen entsprechenden Notenschnitt vorweisen. Wer das nicht kann, geht an eine Uni im Ausland. Österreich ist wegen der fehlenden Studiengebühren besonders attraktiv. Betrachtet man die Situation an der Uni Zürich im historischen Kontext, so zeigt sich, dass unsere studentischen Vorgänger für dieses kleine Paradies gekämpft haben. Wir durften es uns in den letzten Jahren auf deren Lorbeeren gemütlich machen.

Nur ein Zwischenfall im vergangenen Mai sorgt für heisse Köpfe: Ein kleines Komitee namens «Uni von unten» (Uvu) wehrte sich im vergangenen Frühling gegen öffentliche Vorträge von Daniel Vasella, Peter Brabeck und Jean-Pierre Roth, allesamt Topmanager, die laut Uvu «an der Uni Zürich ihre Geschäfte in ein sonniges Licht rücken.» Damit gäbe «die Universität Zürich die unabhängige und kritische Reflexion gesellschaftlicher Verhältnisse preis», heisst es im Aufruf von Uvu, als sie im Mai zum Protest rufen. Um es beim Namen zu nennen: Die Universität verliert ihre Autonomie. Rund 70 Studierende machen daraufhin am 12. Mai diesen Jahres mobil. In einer Demonstration ziehen sie vom Deutschen Seminar zur Uni Zentrum, also circa 150 Meter weit. Ihre Botschaft, Vasella «not welcome» ist ebenso provokativ wie damals jene der «Lux-Parade» und jene, die uns vor kurzem aus dem KOH-B-10 der Uni Zürich erreichte.

Weil das Schweizerische Institut für Auslandforschung (SIAF) nur neoliberale und neokonservative Redner eingeladen habe, fühlten sich einige Studierende betupft und hintergangen. Sie forderten, dass es an der Uni freie Meinungsäusserung geben müsse, verboten den Managern aber mit ihrem «not welcome» unbeabsichtigt den Mund. Damit führten sie ihre eigene Forderung ad absurdum.

Absurdes Szenario

Die Situation an der Uni Zürich ist zwiespältig. Einerseits tätigt gerade die Privatwirtschaft Investitionen in Bildung und Forschung, andererseits erlangt sie auf diese Weise auch mehr Einfluss auf unser Bildungssystem. Für viele Studienrichtungen ist die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft enorm wichtig. Sie ermöglicht die Grundlagenforschung. Gerade bei weniger bekannten Fächern, wie Lebensmittelmikrobiologie, sind die Partner gleichermassen voneinander abhängig. Es versteht sich, dass für gros­se Unternehmen wie UBS, Nestlé oder Novartis, top ausgebildete Arbeitskräfte eine wichtige Investition sind. Sie wollen mitmischen. Umgekehrt ist der finanzielle Zustupf aus der Privatwirtschaft eine grosse Versuchung für die Universitätsleitung und den Universitätsrat. Im Jahresbudget der Universität schlagen die Drittmittel aus der Privatwirtschaft mit 42,5 Millionen Franken zu Buche. Das sind 4,9 Prozent des gesamten universitären Budgets. Kein Betrag, der die universitäre Autonomie kippen könnte. Trotzdem muss man in Zeiten von Bologna die Veränderungen im Bildungssystem und an der Uni Zürich im Auge behalten.

Sylvie Fee Michel, Präsidentin des Studierendenrats (StuRa), ist überzeugt: «Wenn die Privatwirtschaft sich in die Bildungspolitik einmischt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Studiengänge wie Filmwissenschaften oder Populäre Literaturen und Medien abgebaut werden.» Viele Phil-I-Studierende befürchten, dass Geisteswissenschaften benachteiligt werden, da sie nicht kommerzialisierbar sind.

Uvu geht davon aus, dass gerade die weniger gefragten geisteswissenschaftlichen Studiengänge in absehbarer Zeit verloren gehen. Würde die Studienvielfalt nach und nach verkümmern bis man nur noch Wirtschaft, Jurisprudenz und weitere, für den Markt nützliche Fächer studieren könnte? Zur Zeit ein absurdes Szenario: Die Philosophische Fakultät stellt 12’000 Studierende während es bei Wirtschaft und Jus 6500 sind. Laut Jahresbericht 2008 finanziert sie 5,5 von insgesamt 125 Professuren aus Drittmitteln während die Rechtswissenschaftliche und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät zusammen gerade 1,2 Professuren von 82 aus Drittmitteln finanzieren.

Laut Sylvie Fee Michel ist ein Bildungsabbau trotzdem ein denkbares Szenario, falls die Studierenden sich nicht selbst um ihre Bildungsansprüche kümmern.

Schon einmal haben sich Studierende aus ganz anderen Gründen gegen einen drohenden Bildungsabbau wehren müssen. In den 90er Jahren hat der Kanton kein Geld mehr für unsere Alma Mater. Er erhöht die Studiengebühren auf 600 Franken. Die Studierendenzahl verringert sich schlagartig von 21’000 auf 16’000. Die Unileitung baut die Zahl der Lehrstühle ab. Diverse Lehrveranstaltungen streicht sie ganz. Theo Schmied, der damals Mitglied im StuRa war, erinnert sich: «Wir haben damals symbolisch Lehrstühle zu Grabe getragen. Lehrstühle die auf Grund von Sparmassnahmen leer blieben, tauften wir kurzerhand Leerstühle». 1993 protestierten 2500 Zürcher Studierende unter dem Motto «Bildung für alle» gegen diesen Bildungsabbau.

Ökonomisierte Bildung

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass aufmerksame Studierende der Unileitung und dem Unirat auf die Finger schauen. Sie wollen auf die Verwirtschaftlichung der Bildung aufmerksam machen. Seit den Aktionen im Mai hat sich daher einiges getan. Der Unmut über die Umsetzung der Bolognareform ist wieder in den Vordergrund gerückt. Gerade das Bolognasystem ist europaweit unbeliebt, nicht nur bei den Studierenden, sondern auch bei Dozierenden. Nichts funktioniert wie es sollte. Die Mobilität hat abgenommen. Die Zahl der Studienabbrecher nimmt zu. Die Anerkennung von ECTS-Punkten an den Unis ist alles andere als geregelt. Dozierende beklagen hinter vorgehaltener Hand, dass die Studierenden sich nicht mehr für ihre Lehre interessieren, sondern nur noch, was sie auswendig lernen sollen, um die Prüfungen zu bestehen. Kurz: Die Umsetzung von Bologna hat zu einer Ökonomisierung des Studiums geführt.

Wie die Vergangenheit gezeigt hat, mussten Studierende immer wieder für ihre Bildung kämpfen. Die Protestaktionen der letzten Jahrzehnte lassen sich beinahe zyklisch darstellen.

Allem paradiesischen Schein zum Trotz, haut die Studierendenschaft der Unileitung erneut auf die Finger, denn der grosse, rote Apfel hängt verführerisch tief zur Zeit. Die Stimmen sind erneut laut geworden. Dieses Mal jedoch wählt Uvu einen anderen Weg.

Sie organisiert am 17. November im Rahmen der Internationalen Aktionswoche unter dem Motto «Our Education ist not for sale» einen Informations- und Diskussionstag. Nachdem die Protestaktionen bei unseren Nachbaren auch die Studierenden in Zürich für die Schieflage der Bildungspolitik sensibilisieren, wird der Aktionstag zu einem Erfolg mit Folgen. Angeheizt von Basel und Wien besetzen die Studierenden den grössten Hörsaal im Unizentrum. Gemeinsam arbeiten sie ihre Standpunkte aus. Die Wiener unterstützen die Zürcher mit ihrem Know How. Informationen wie: «60 Besetzer reichen aus» oder dass die absolute Transparenz für die Kommunikation mit den Medien wichtig für den Erfolg sei, hilft den unerfahrenen Zürcher Protestierenden. In der Nacht auf Mittwoch ist die erste Medienmitteilung verfasst: «Wir sind gegen die Ökonomisierung der Bildung und gegen Sparmassnahmen in der Bildung! Wir solidarisieren uns mit allen Betroffenen und wir akzeptieren die Ergebnisse von Bologna in dieser Form nicht!» Diese Standpunkte klingen milder als jene, die im Vorfeld per Flyer proklamiert wurden: «Wir fordern die Aufhebung der Bolognareform, die Auflösung des Unirats, die Abschaffung der Studiengebühren und den Ausbau des Stipendienwesens.»

Wann müssen wir auf die Strassen?

Wie Sylvie Fee Michel berichtet, wurden am 16. November im Zürcher Kantonsrat Anträge zur Budgetdebatte andiskutiert. Laut Michel will der Kantonsrat das Budget für die Uni um 22 Millionen Franken kürzen und gleichzeitig die Studiengebühren verdoppeln. Das würde heissen, die Studierenden steuern mit ihren Studiengebühren statt 23 Millionen neu 46 Millionen Franken zum Unibudget bei. Sollten die Gebühren nicht erhöht werden, müsste die Universität ihre Leistungen massiv abbauen. Im Falle des ersteren, würden die Studiengebühren neu 5,3 Prozent des gesamten universitären Ertrags ausmachen. Das ist für die Uni ein Tropfen auf den heissen Stein, für die Studierenden aber führt das zu schmerzenden Löchern im Portemonaie. Gerade in einer Zeit, in der Bologna herrscht und die Studierenden immer weniger Zeit haben, um nebenbei zu arbeiten, würde das wieder zu Zuständen wie 1996 führen, als sich nur die finanziell gut betuchten eine universitäre Bildung leisten konnten. Dann würde auch der Studierendenrat wieder zu einer «Lux-Parade» aufrufen. «Allerspätestens wenn es soweit kommt, gehen wir mit Sicherheit wieder auf die Strassen!», versichert Sylvie Michel. Im Moment sind die Studierenden jedoch gezwungen zu warten, bis sich die Fronten gebildet haben und sich die Forderungen, Kürzungen, Abschaffungen und Reformen herauskristallisieren. Sollte die Universität Zürich nach dem verbotenen Apfel der Privatwirtschaft greifen, wird es früher oder später wieder heissen: Fackeln, Kerzen und Laternen erleuchten die engen Gassen des Niederdörfli. 8000 Studierende, Gymnasiasten und Dozierende ziehen von der Uni her zum Münsterhof. Auf Leinentüchern tragen sie ihre Anliegen an die Öffentlichkeit.