Zu häufig sehen Professorinnen und Professoren die Lehre als Abfallprodukt ihrer Arbeit. Philip Schaufelberger

Die Forschung top, die Lehre ein Flop

Dozierende können unterrichten, wie sie wollen. Für viele ist die Forschung wichtiger. Doch allmählich findet ein Umdenken statt.

20. Oktober 2009

Es geht ein Raunen durch den Vorlesungssaal. Über 100 Studierende reiben sich die Augen und werfen verwirrte Blicke zum Hellraumprojektor. Tatsächlich, das Blatt, welches als Abdeckung für die Folie dient, hat sich ein Stück nach unten bewegt. Es raschelt. Eifrig notieren die Erstsemestrigen die frisch entblössten Stichworte. Kurz darauf senken die ersten bereits wieder ihre Köpfe auf die Pulte und warten, bis das nächste prüfungsrelevante Stichwort abgedeckt wird. In den Rängen kehrt Ruhe ein. Einzig die monotone Stimme des dozierenden Professors erfüllt den Saal. Das ist eine Szene aus einer Vorlesung von Professor Ueli Gyr am Institut für Populäre Kulturen. Das Thema: Alltagskulturanalyse. Er lässt seit Jahren seine Studierenden von seinen Hellraumprojektionsfolien abschreiben. Die Thematik wäre eigentlich interessant. Aber dieser Unterrichtsstil langweilt die Studierenden bloss. Bea Schwitter vom Sekretariat bestätigt am Telefon lachend Gyrs Vorlesungsstil. Herr Gyr sei aber momentan nicht anwesend, entschuldigt sie. Später lässt er ausrichten: «Ich bin nicht interessiert daran, meinen Lehrstil zu legitimieren.» Gyr ist seit 1996 Professor an der Universität Zürich und wird nächstes Jahr emeritiert. Er gehört zu der «alten Schule» von Dozierenden, welche einen für heutige Massstäbe eher altmodischen Unterrichtsstil pflegen. Diesen wird er wohl kaum mehr ändern.

Lehre als Beigemüse der Forschung

Diese alte Schule erwähnt auch Peter Tremp von der Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik (AfH): «Die traditionelle Meinung hält die Lehre nur für Beigemüse der Forschung.» Tatsächlich klagen Studierende immer wieder über die mangelnden didaktischen Fähigkeiten ihrer Dozierenden. Gyr ist hier nur ein Beispiel von Dozierenden, deren didaktische Fähigkeiten nicht gerade begeistern. Viele widmen sich lieber der Forschung und sehen die Lehre als notwendiges Übel, welches halt auch noch nebenbei erledigt werden muss. So berichtet beispielsweise der Maschinenbau-Student Toni, über Eugene Trubowitz, Professor für Mathematik an der ETH, dass dieser zu den Erstsemestrigen in der Vorlesung sagte: «Ich verwende hier nur zehn Prozent meines Hirns, um euch etwas beizubringen, mit dem Rest beschäftige ich mich mit anderen Dingen.» Zudem fand er den Unterrichtsstoff für das erste Semester zu einfach. Er brachte ihnen die Schrödingergleichung bei. Stoff, der eigentlich erst im vierten Semester behandelt wird. «Er machte uns das Studium zur Hölle», klagt Toni. Für eine Stellungnahme war Trubowitz leider nicht erreichbar. Der obige Fall illustriert beispielhaft die Ursache für mangelnde Lehrqualität seitens der Dozierenden: Es werden vor allem Professoren an die Universität berufen, welche einen illustren Namen in der Forschung haben. Laut dem ehemaligen Rektor der Uni Zürich, Hans Weder, beruft die Uni Zürich nur diejenigen Dozierenden, die zu den besten zehn Prozent ihres Fachs gehören. Für die Universität ist die «employability» der Dozierenden entscheidend. Dabei werden ihre Qualitäten in der Lehre kaum beachtet. Was zählt, ist die Forschung. Diese macht den grösseren Teil der Aufgabe eines Professors an einer Universität aus. Die vier bis sechs Stunden Lehre pro Woche fallen da weniger ins Gewicht. Die Professoren werden aber von den Studierenden als Aushängeschilder ihres Fachs empfunden und viele Studierende hoffen auf interessante Seminare bei den so genannten Koryphäen. Trotzdem werden die Studierenden in den Berufungskommissionen ständig überstimmt. «Steht die Wahl zwischen einem Professor, der in der Forschung brilliert und einem, der in der Lehre top ist, wird fast immer derjenige gewählt, der in der Forschung besser ist», sagt Sylvie Fee Michel, Präsidentin des Studierendenrates. Die Stimme der Studierenden verhallt dabei oft ungehört.

Verwöhnte Studierende

Auch Tremp von der AfH ist sich dieser Problematik bewusst. Er sieht die Ursache in den zahlreichen Universitätenrankings, die immer wieder erstellt werden. «In solchen Rankings wird stets nur der Forschungsoutput gewertet», sagt auch Weder. Das ist das Mass der Dinge – auch an der Universität Zürich. Weder relativiert aber: «Die Zahl derjenigen Professoren, die in der Didaktik schlecht abschneiden, liegt im einstelligen Prozentbereich.» Es gäbe ausserdem bei all den Studierenden immer wieder Einzelne, die unzufrieden seien und kritisieren. Andererseits kann man aber getrost behaupten, dass die heutige Studierendenschaft geradezu verwöhnt ist, was die Lehre anbelangt. E-Learning, Powerpoint-Präsentationen und Podcasts sind Pflicht. Verzichten Dozierende einmal auf diese Hilfsmittel, reklamieren die Studierenden sogleich. Da hat ein Professor der alten Garde, einzig mit Hellraumprojektionsfolien und Kreide für die Wandtafel bewaffnet, einen schweren Stand. Andere wählen aber auch bewusst altmodische Lehrmethoden und stos-sen dabei auf Widerstand. Peter Zweifel, Professor am Sozialökonomischen Institut, wird ein verwirrender Unterrichtstil vorgeworfen. Er benutzt ein Skript eines Kollegen und ergänzt dieses in der Vorlesung mit seinen Bemerkungen auf einem Screen. Dies führt nicht nur zu Fehlern seinerseits, sondern auch zu Widersprüchen und zu Verwirrung bei den Studierenden. Zweifel kommentiert: «Ich nehme diesen Vorwurf mit Fassung entgegen. Mir ist bewusst, dass mein Vorlesungsstil ein wenig altmodisch daherkommt. Ich finde Powerpoint-Präsentationen aber viel zu glatt.» Seine Fehler illustrieren laut Zweifel die Komplexität des Stoffes. Wenn Studierende diese Fehler dann bemerken, sei das ja nur vorteilhaft. «Das heisst aber nicht, dass ich absichtlich Fehler mache», beteuert Zweifel. Früher konnten die Studierenden freier zwischen den Veranstaltungen wählen und gingen dann zu den Dozierenden, deren Unterrichtsstil ihnen entsprach. Seit der Bologna-Reform wird das den Studierenden erheblich erschwert. Vor allem in der Assessmentstufe ist es oft gar nicht mehr möglich: Viele Vorlesungen sind Pflicht und werden nur von einigen wenigen Dozierenden gehalten. Ein Ausweichen ist da unmöglich. Den Studierenden bleibt nichts anderes übrig, als sich für einige wenige Kreditpunkte durch die Veranstaltungen zu quälen.

Akademische Diskussion neu lanciert

Es geht aber durchaus auch anders. Dies beweist allen voran Brigitte Tag, Professorin am Rechtswissenschaftlichen Institut: «Ein klares Konzept und eine intensive Vorbereitung auf die Vorlesungen sind essentiell für gute Veranstaltungen.» Gegen Langweile in der Vorlesung soll man ihrer Meinung nach «die Studierenden aktiv in die Vorlesung einbeziehen, aktuelle Beispiele wählen und zwischen didaktischen Stilmitteln abwechseln.» Tag hat damit ganz offensichtlich grossen Erfolg. Im letzten Jahr erhielt sie für ihre Lehre den «Credit Suisse Award for Best Teaching». Dieser Lehrpreis wird an der Uni Zürich seit 2007 vergeben. Für Peter Tremp von der AfH ist er eines der Zeichen, dass ein Umdenken in der akademischen Diskussion stattfindet. Es werde mehr Wert auf die Lehre gelegt. Tremp macht das an einer ganzen Reihe von Veränderungen fest. Neben dem Lehrpreis gibt es jetzt neu auch den «Tag der Lehre». Dieser fand am 21. Oktober zum ersten Mal statt. Ziel dieses Tages: «Die Bedeutung guter Lehre für die Attraktivität der UZH als Studienort unterstreichen und zur Reflexion sowie zum Gespräch über die Lehre anregen», wie die Uni auf ihrer Website schreibt. Gute Lehre soll in Zukunft auch empirisch evaluiert werden. Ab dem laufenden Semester kommen erstmals gesamtuniversitär einheitliche und flächendeckende Lehrveranstaltungsevaluationen zum Einsatz. Zuvor basierten diese meist auf der freiwilligen Teilnahme der jeweiligen Dozierenden. Bisher gab es dafür die dem Universitätsrat unterstellte, fachlich unabhängige Evaluationsstelle. Diese evaluiert seit bald zehn Jahren den Universitätsbetrieb. Der Geschäftsführer Thomas Rothenfluh gibt zu: «Wir haben die allgemeine Didaktik in unseren Evaluationen bisher nur sehr oberflächlich beurteilt.» Sein Betrieb untersucht nicht nur die Qualität der Lehre, sondern auch derForschung, Dienstleistungen, Leitung und Verwaltung der Universität Zürich Zusätzlich evaluiert das «Organ für Akkreditierung und Qualitätssicherung der Schweizerischen Hochschulen» (OAQ) im Auftrag des Bundes regelmässig die Universität. Es erstellt so genannte «Quality Audits», aufgrund deren der Universität dann die Akkreditierung erteilt wird.

«Ein internes Transparenzproblem»

Es werden also zahlreiche Evaluationen erstellt, allerdings erfahren die Studierenden von deren Resultaten und insbesondere von den Konsequenzen nur sehr wenig. Diese werden nur zwischen der Universitätsleitung und den direkt Betroffenen diskutiert. Dies bemängelt auch das OAQ in seinem Schlussbericht zur Universität: «Hinsichtlich der Qualitätssicherung wird nicht genügend kommuniziert.» Die Experten stellen «ein internes Transparenzproblem» fest und kritisieren die «defensive Informationspolitik der Universitätsleitung.» Auch das Generalsekretariat der Uni Zürich gibt sich bei einer Anfrage gegenüber der ZS bedeckt und nennt keine konkreten Massnahmen als Konsequenzen der Evaluationen. Man entschuldigt sich mit einem «nicht zuständig» und verweist ans Mediadesk der Uni. Doch die Studierenden haben das Bedürfnis nach mehr Informationen. Aus diesem Grund fordert auch der StuRa eine transparente Kommunikation der Resultate und will konkrete Konsequenzen bei negativen Ergebnissen sehen. Er macht auch konkrete Vorschläge: Dozierende, welche in der Didaktik schlecht abschneiden, sollen einen hochschuldidaktischen Kurs besuchen müssen. Ein passendes Angebot für solche Weiterbildungskurse besteht bereits. Diese hochschuldidaktischen Kurse erfreuen sich aber meist nur an regen Besuchen des Mittelbaus. Professoren sind selten gesehene Gäste. «Nur wenige Professoren können sich zwei Tage für einen Kurs frei nehmen», sagt Peter Tremp von der AfH. Die Dozierenden seien aber nicht grundsätzlich abgeneigt, sich weiterzubilden. Andere Angebote, wie zum Beispiel, dass ein Experte in eine Vorlesung sitzt und dem Professor anschliessend ein Feedback gibt, werden rege genutzt. Auf expliziten Wunsch der Dozierenden führt die AfH auch ausführliche Evaluationen durch, in die sie auch die Studierenden mit einbezieht. Evaluationen hier und Evaluationen da. Das alles nützt nicht viel, wenn diese nicht auch an verbindliche Konsequenzen gekoppelt sind. Gerade bei der Lehre vertraut die Uni jedoch stark auf die Eigenverantwortung der Dozierenden. In der Forschung ist dies zwar auch der Fall, da besteht aber ein viel grösserer Wettbewerb: «Wer publiziert, der ermöglicht aussenstehende Kritik. Wer nicht publiziert, ist verdächtig», erzählt Weder. In der universitären Lehre hingegen bestand bis anhin kaum ein solcher Wettbewerb. Erst mit der Einführung des Lehrpreises wurden hier gewisse Anreize geschaffen.

Die Forschung bleibt im Fokus

Peter Tremp ist demgegenüber aber kritisch: Für einen Professor sei dessen Ruf entscheidend. Diesen hole man sich jedoch nicht durch Lehre, sondern durch Forschung. Da hauptsächlich die Studierenden entscheiden, an wen der Lehrpreis verliehen wird, sei dieser für die Reputation in Fachkreisen wenig relevant. Zudem sagt Tremp: «Man wird als Professor von seinen Kollegen etwas seltsam betrachtet, wenn man bei den Studis zu beliebt ist.» Letzten Endes sind für das Selbstverständnis der Uni Zürich vor allem Rankings wie das weltweite der «Times Higher Education Supplement» ausschlaggebend. Das Times-Ranking basiert auf der Reputation der Universitäten innerhalb der internationalen Fachkreise und legt wie auch das ebenfalls bekannte Shanghai-Ranking den Fokus auf den Indikator Forschung. Es bleibt zu hoffen, dass Ueli Gyrs Nachfolger für eine erhebliche Verbesserung der Lehrqualität am Institut für Populäre Kulturen sorgt. Solange bei der Berufung die Forschung im Fokus bleibt, kann es auch in Zukunft möglich sein, dass Studierende in der Vorlesung von einer Folie abschreiben müssen. Langeweile ist dabei garantiert.