Kauft seine Gipfeli lieber beim Bäcker: Prof. Dr. Martin Loessner. Lukas Messmer

Zu Gast in Martin Loessners Kopf

Was beim Lebensmittelmikrobiologen am Samstagmorgen im Einkaufskorb landet. Und was er sich lieber im Fluss holt. Ein fiktives Gedankenportrait.

14. September 2009

Das sieht ja wieder mal einladend aus, wie die beim Grossverteiler mit den Händen nach den Gipfeli grabschen. Die hol ich mir mal lieber beim Bäcker. Was noch? Mehl und Eier für die Ravioli und Sushi-Reis. Ah da. Ou ja und die Algenblätter, hmm Ingwer, nehm ich besser den frischen. Was die wieder für Fertiggerichte im Angebot haben, Bami Goreng. Bei uns kommt sowas nicht auf den Tisch. Diese Verarbeitungsmethoden verderben sämtliche Geschmacksnuancen. Da kann man gleich Karton essen. Was, das Poulet haben sie auch zum halben Preis? Wo das wohl herkommt? Brasilien, so so, zum Glück gibts bei uns heute frisches Sushi. «Ihr müsst immer den ganz frischen Fisch nehmen, haben sie im Kochkurs gesagt». Na der sieht doch passabel aus. Thunfisch und Lachs, das essen die Kinder bestimmt auch. Ui, die Jakobsmuscheln sehen fantastisch aus. Von denen nehme ich auch ein paar. So, will mal sehen, ob sie frisches Gemüse haben. Also Ingwer, Spinat, Tomaten. Ob die Leute überhaupt noch die «Berner Rose» kennen? Wohl kaum. Diese sagenhaft gute Tomate können sie im Grossverteiler gar nicht anbieten. Die ist kaum haltbar und wird gleich matschig, dann will sie ja auch keiner mehr. Wieso sind die Leute bloss solche Gourmetbanausen? Ah, da drüben liegen wieder mal die steinharten Mangos. Die lieben alle, obwohl die keiner essen kann. Hauptsache alles liegt zum Kaufen rum und keiner weiss, wann ein Gemüse eigentlich wachsen würde oder woher die Litchis kommen. Irgendwann sollte wirklich Schluss sein mit dieser universellen Verfügbarkeit. Was wollte ich eigentlich noch, ach so, frische Eier und Mozzarella. So das hätten wir.

Und ab nach Hause

Ou, am Montag ist noch dieses Interview. Die wird mich bestimmt fragen, warum ich gerade in der Lebensmittelmikrobiologie gelandet bin. Tja, weil es mich absolut fasziniert, würde ich meinen. Die Lebensmittelmikrobiologie ist so nah am eigenen Leben. Man muss nur in den Kühlschrank schauen, der ist voll damit. Das ist keine Forschung für die Schublade. Wir befreien Lebensmittel von Krankheitserregern. Das ist fantastisch. Keine Listerien, Salmonellen oder Staphylokokken mehr. Keinen schimmligen Parmesan, kein Gammelfleisch, keine Mikroben mehr, die in unserem Essen Feste feiern. Wenn das nicht fantastisch ist, na dann gute Nacht.

Ui, bestimmt wird sie auf den Otto- von-Guericke-Preis 2008 zu sprechen kommen. Das war wirklich ein tolles Gefühl. Der ist genau für solche Forschungsprojekte, die den Weg in die Industrie gefunden haben. Wir Forscher haben ja recht wenig Möglichkeiten, Anerkennung zu finden. Also wenn man so einen Preis entgegen nehmen darf, ist das der wahre Rahm auf dem Kuchen. Das motiviert das ganze Team und die Geldgeber wissen ihr Geld gut investiert.

Was sie wohl von meinem Büro denken wird? Bestimmt so was wie: quadratisch, praktisch, gut. Dabei gibts da so viel mehr. Die kleinen persönlichen Dinge sieht halt nicht jeder. Die Zeichnung von meiner Tochter Serafina, wo sie das Aquarium so fantastisch gemalt hat oder ich könnte ja erzählen, woher das fantastische Plakat mit allen Fischen der Schweizer Gewässer kommt. Das war ein sinnvolles Abschiedsgeschenk von einer Studentin. Ich glaub, ich hab fast jeden Fisch da drauf schon mal gefangen.

Fischen ist nicht gleich Fischen

Dieser Journalistin werd ich sowieso erklären müssen, dass ich kein langweiliger Wurmangler bin. In Bergflüssen fischen, wo man richtig rumklettern muss, das ist oft ein ziemliches Abenteuer. Aber an die Wildnis Lapplands kommen die kleinen Flüsse hier nicht ran. Das waren absolut fantastische Ferien, die Natur, die Stille, die wilden Flüsse. Hmm, mal sehen, vielleicht machen wir morgen früh mit dem Oldtimer einen Ausflug an die Aare. Dann zeig ich den Kids nochmal, wie man die Rute richtig wirft. Ui, das wär fantastisch, wenn die Kinder irgendwann mal so gerne fischen wie ich. Dann machen wir Fischerferien in Skandinavien. Jeden Abend gibts selbst gefangenen und gebratenen Fisch, naja vielleicht nicht jeden. Aber toll ist das schon, den Fisch von A bis Z selbst zuzubereiten.

Das könnte ich dieser Reporterin auch mal erzählen. Die denken doch alle immer, wir Professoren seien Laborfreaks und Stubenhocker. Aber sein Essen selber zu fangen, den Fisch auszunehmen und zu braten, find ich einfach fantastisch. Das hat so was von Mittelalternostalgie. Naja, die fragt wahrscheinlich eher, ob ich überhaupt noch in Restaurants gehe. Das wollen die nämlich immer wissen. Da kann ich nur sagen, auch eine Lebensmittelmikrobiologenfamilie geht essen. Stellen sie sich mal vor, meine Frau und ich, wir schauen nicht mal in die Küche der Restaurants, bevor wir unser Essen bestellen. Tja, wir sind tatsächlich normal und waschen uns auch nicht zwanzig Mal am Tag die Hände. Es reicht uns, wenn die Lebensmittel ganz frisch und von guter Qualität sind. Da machen wir uns eigentlich keine Gedanken, auch wenn wir beide, also meine Frau und ich Lebensmittelmikrobiologen sind.

Vom Wolf zum Handtaschenhündli

So, noch schnell den Einkauf in den Kühlschrank und dann ab zum See. Die Kinder warten sicher schon. Ui, und einen Blick in die Agenda, wann dieses Interview sein soll. Was, schon um zehn? Ou, ich wollt vorher diesen Gentechartikel noch durchlesen, sonst schaff ich das die ganze Woche nicht. Was die immer über Gentechnologie erzählen. Kein Wunder reagieren die Leute so skeptisch, wenn die Umweltorganisationen immer so einseitig informieren und die Forschungsartikel eh keiner versteht. Aus den Wölfen haben sie diese kleinen Handtaschenhunde gezüchtet und finden es toll, aber wenn man einen Reis macht, der die Mangelernährung in der asiatischen Bevölkerung ausgleichen kann, dann gehen alle die Wände hoch. Wir Forscher sollten da wirklich mal ein bisschen mehr Aufklärungsarbeit leisten.Aha, am Montag bin ich mit den Doktoranden vom Forschungsteam zum Mittagessen in der Mensa verabredet. So freut man sich auf den Wochenstart. Find ich ja immer wieder interessant, mich am Salatbuffet über Schimmelpilze und Salmonellen zu unterhalten. Na egal, heut gibts erst mal Sushi, fantastisch.

Prof. Dr. Martin Loessner

Der 46-jährige Deutsche aus Wuppertal ist seit 6 Jahren ordentlicher Professor für Lebensmittelmikrobiologie an der ETH Zürich. Er betreut ein 30-köpfiges Forschungsteam.