Das Theater um die Vogel- und Schweinegrippe wurde von langer Hand inszeniert. Corina Ernst

Wer hats erfunden? Roche!

Die Schweinegrippe geht um. Ist sie nur eine Erfindung, um die Schweizer Wirtschaft in der Krise anzukurbeln? Tamiflu nur ein Placebo?

14. September 2009

«Es handelt sich um ein Riesending», verspricht Zeltner den Pharmabossen. Genaue Details weiss er noch nicht. Eines ist jetzt aber auf jeden Fall klar: Die Herren in den schwarzen Anzügen haben sich nicht zum Trinken getroffen. Auf der einen Seite der Weingläser sitzt die operative Spitze der Roche in Begleitung von Fritz Gerber, dem langjährigen Vorsitzenden des Unternehmens und zugleich Ehrenpräsident. Gegenüber nippt Thomas Zeltner, Chef des Bundesamtes für Gesundheit, am Glas. Der Konzern handelt mit Zeltner an diesem schönen Herbstnachmittag ein Angebot aus, das nur Idioten abgelehnt hätten. Beide Seiten wissen von den Plänen, fiktive Grippeepidemien mit globaler Ausdehnung anzukündigen. Und beide Seiten profitieren. Zeltner soll für die Vermittlung einen fast dreistelligen Millionenbetrag erhalten haben, beim Pharmariesen Roche sollen noch viele Jahre die Kassen klimpern. Der Schauplatz: Ein hübsches Weinlokal nahe der Roche-Firmenzentrale in Basel. Es ist ein schöner Herbstnachmittag, wir schreiben das Jahr 1992. Elf Jahre vor der Vogelgrippe. Fünfzehn Jahre, bevor die ersten Fälle der Schweinegrippe auftreten.

Tamiflu als repressive Massnahme

Wer heute nichts gegen die Schweinegrippe unternimmt, riskiert in Ungnade seiner Mitbürger zu fallen. Denn es gilt: Wer nicht gegen die Schweinegrippe handelt, ist für die Schweinegrippe und befürwortet damit die Auslöschung der Schweizer Bevölkerung durch das H1N1-Virus.

Doch die Pandemie-Thematik lässt die Bevölkerung bis jetzt völlig kalt, wie Umfragen unter Studierenden bestätigen. Der kleinen Minderheit, die sich um ihre Gesundheit ernsthafte Sorgen macht, bleibt nur eine Lösung. Sie lassen die präventiven Massnahmen hinter sich und rücken zu den repressiven vor, von denen sich vor allem eine anbietet: Tamiflu! Denn wer will schon riskieren, im Tram aufgrund einer Atemschutzmaske zum Gespött der Massen zu werden?

Tablette dank Vitamin B

Roche produziert heute als einziger Konzern das – vom Bundesamt für Gesundheit empfohlene – Medikament gegen die Grippe. Staaten kaufen ganze Lagerhallen davon ein, die Absätze im Detailhandel steigen weiter und, das Sahnehäubchen der Tablette, das Patent läuft erst 2016 ab. Dass Tamiflu heute in grossen Mengen erhältlich ist, ist dem guten Wein an einem schönen Nachmittag in einer kleinen Basler Enothek zu verdanken.

Damit das Medikament heute als Heilsbringer präsentiert werden kann, musste auch ein Bösewicht her, ein Ungetüm satanischen Ausmasses: Ein Virus, das sich rasend schnell ausbreitet, von wechselnden Tierarten auf den Menschen überspringt, mutiert und Risikogruppen mit schwächelndem Immunsystem zu zehntausenden hinrafft. So wurde eine Bedrohung für die gesamte Menschheit heraufbeschworen. In die Wege leitete das ein Kontakt bei der WHO, den Zeltner sich aus seiner Zeit als Harvard-Austauschstudent warmgehalten hatte. Die Weltgesundheitsorganisation war auch nicht abgeneigt, wieder einmal mehr Publicity zu erhalten. Kurz nach der Kick-Off-Sitzung anfangs der 90er-Jahre beginnt Roche mit der Herstellung des Grippemedikaments. Das wirkungslose Präparat verschlingt dabei nicht einmal Forschungskosten: Ein langjähriger Freund von Ehrenpräsident Gerber initiiert als Professor an der medizinischen Fakultät der Universität Zürich die Forschung nach der Rezeptur. So stellt ein ganzer Medizinstudiengang im 6. Semester unter dem Deckmantel eines Forschungsprojekts in nächtelanger Praktikumsarbeit ein völlig wirkungsloses, doch auf den ersten Blick täuschend echtes Grippemedikament her. Roche übernimmt die Patentierung und die Massenproduktion. Bis 2003 ist das Medikament auf allen wichtigen Märkten erhältlich. Ein unerklärliches Vogelsterben wird von der WHO sofort genutzt, um die Vogelgrippe zu lancieren. Punktuell werden an Grippe erkrankte Personen in Isolierambulanz genommen. Die Öffentlichkeit wird alarmiert. Die sonst harmlose Grippe präsentiert man als tödliche Bedrohung. Im Unterschied zu früheren «normalen» Todesfällen werden Grippetote nun plötzlich in den Nachrichten gezeigt.

Die erste Welle diente mehr der Einstimmung auf das apokalyptische, pandemische Theater. Die Schweinegrippe stellt nun die zweite Welle dar. Sie vermag auch die europäische Gesellschaft in Alarmbereitschaft zu versetzen und die Verkaufszahlen von Tamiflu in die Höhe zu treiben. Die Schweinegrippe ist sicher nicht die letzte gefährliche Grippe. Vielleicht folgen noch die Froschgrippe, die Igelgrippe oder gar die Katzengrippe?

Solange Roche die alleinigen Verkaufsrechte am Gegenmittel besitzt, kann dies dem Standort Schweiz nur nützen und unsere Märkte in der Wirtschaftskriese stabilisieren. Der Kanton Basel-Stadt profitiert mit, wenn Roche Geld scheffelt, und finanziert dadurch mit dem Finanzausgleich auch gleich alle anderen Kantone. Tamiflu selbst ist in gleichem Masse ungefährlich wie wirkungslos. So kann selbst ein tiefer Glaube an die Echtheit der Grippepandemien der Schweizer Bevölkerung nicht schaden, ja ist sogar dem Wirtschaftswachstum behilflich.

Später Erfolg

Doch nicht nur Roche feiert. Im Dämmerlicht einer Lagerhalle in der Nähe des Bundeshauses knallen die Korken und klingen die Kristallgläser. Drei ältere Herren sitzen auf chinesischen Kartonkisten, gefüllt mit Atemschutzmasken. Man freut sich über die effiziente Zusammenarbeit mit dem Pharmariesen vom Rheinknie. Nicht umsonst hat man für den Auftrag ein seriöses Unternehmen mit jahrzehntelanger Erfahrung aus der Schweiz beauftragt. Otto Stich grinst, stösst sein Glas gegen dasjenige von Kaspar Villiger, während Adolf Ogi bereits mit zittrigen Händen den Prosecco schlürft. Man ist stolz, die Wirtschaftskrise vorausgesehen zu haben. Mit der Tamiflu-Konjunkturspritze haben die drei ihr (spätes) Husarenstück vollbracht – vorletzte Woche titelte die NZZ: «Die Schweiz ist das wettbewerbstärkste Land der Welt». Nicht ohne Tamiflu.