Studium und Kind ins Gleichgewicht zu bringen, ist schwer. Philip Schaufelberger

Wenn der Nuggi plötzlich das Skript ersetzt

Kinderüberraschung mitten in der Ausbildung. Was nun? Eine Pauschallösung gibt es nicht. Über Freud und Leid studierender Eltern.

14. September 2009

Es klingelt. Philip Sorgenfrei* öffnet nichtsahnend die Tür. Da steht sie, nervös und unbeholfen – sein One-Night-Stand, bereits im dritten Monat schwanger. Der 24-jährige Student ist von der Nachricht Vater zu werden schlichtweg überfordert. Die Tatsache, dass noch ein anderer als Vater in Frage kommt, erleichtert ihm die Situation nicht. Mehrere Monate lang liegt seine Zukunft im Ungewissen. «Das war hart, ich versuchte mit dem Studium weiterzumachen.» Am Samichlaustag vergangenen Jahres erblickt die kleine Simone* das Licht der Welt. Während der Prüfungszeit im Januar kann sich Philip nicht konzentrieren. «Ich bestand trotzdem alles, jedoch mehr schlecht als recht.» Dann ist es klar: Das Neugeborene ist sein Töchterchen. Darauf folgt eine Depression, er sucht professionelle Hilfe und verschiebt seine Bachelor-Arbeit.

Auch Karin Lüthis Studium verlängert sich aufgrund der Familiengründung. Für die Mutter eines 12- und 14-jährigen Kindes liegt ein Vollzeitstudium absolut nicht drin. «Die Betreuung ist ein organisatorischer Purzelbaum.» Sie bucht maximal die Hälfte der Module, damit sie zwei bis drei Tage in der Woche Zeit für die Kinderbetreuung hat. Was sie denn anders gemacht hätte? «Ich hätte mich vor der Matur mehr ins ‹Füdli klübt›.» Die heute 46-Jährige flog ein Jahr vor Abschluss aus der Schule. Dann arbeitete sie als Flight Attendant, bis sie die eidgenössische Matura nachholte und vor fünf Jahren ihr Studium begann – mit zwei Kindern im Gepäck. «Es ist machbar, aber planen würde ich das nicht so.»

«Goodbye Wissenschaft»

Anders sieht das Marcel Biefer, Mitarbeiter der Stiftung Kinderbetreuung im Hochschulraum Zürich (kihz): «Man sollte während dem Studium Kinder haben. Da ist man noch viel flexibler als im Berufsleben.» Ausserdem sei es Vergeudung an gut ausgebildeten Frauen, wenn sie nach Abschluss des Studiums wegen der Kinderbetreuung zuhause blieben und dies ihre akademische Karriere verhinderte. «Plötzlich kommt ein Kind und dann goodbye Wissenschaft. Das ist doch Ressourcenverschwendung!» An universitären Hochschulen ist das Geschlechterverhältnis der Studierenden ziemlich ausgeglichen. In der Professur jedoch ist der Frauenanteil mit knappen 15 Prozent immer noch sehr gering. Dessen ist sich Biefer bewusst: «Deshalb setzt sich die kihz dafür ein, dass die Gründung einer Familie die akademische Laufbahn einer Frau weniger einschränkt.» Förderung des akademischen Nachwuchses werde im Stategiekonzept der Hochschulen grossgeschrieben. Ziel sei es, dass sich die Frau bezüglich Kind und Karriere frei entscheiden kann, indem ihr die Möglichkeit geboten wird beides miteinander zu vereinbaren. Mit den fünf Krippen, dem Tageskindergarten und der Ferienbetreuung ist man zurzeit ausgelastet und die Warteschlangen werden länger. Die kihz ist jedoch bestrebt, der Nachfrage gerecht zu werden und erweitert ihr Angebot, wie die aktuelle Gründung einer neuen Kinderkrippe im Science City Campus zeigt.

Jugendliche Unbeschwertheit hilft

Für Seraina Rohrer, Filmwissenschaftsdozentin an der UZH, kam die kihz zu spät. Ihr Sohn Josiah war bei deren Gründung bereits im schulpflichtigen Alter. Sie organisierte sich anders und teilte die Betreuung mit Josiahs Vater, mit dem sie nach einigen Jahren Trennung wieder zusammenkam. Zum Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft konnte die damals 19-Jährige jedoch noch nicht ans Studium denken. Zuerst musste sie die Matura schaffen und diese wollte sie als werdende Mutter bewältigen. Rohrer erinnert sich: «Als ich das Kind im Ultraschall gesehen habe, war mir klar, dass ich es behalten werde.» Die heute 31-Jährige ist froh, früh Mutter geworden zu sein. Denn Jungeltern pflegen eine Unbeschwertheit, sie nehmen es wie es kommt und vertrauen darauf, dass es schon irgendwie gut gehen wird. Rohrers gleichaltrige Freundinnen stecken im Dilemma. Sie wollen Karriere und Kinder planen, doch oft gelingt das nicht. Die eine hat nicht den richtigen Partner, die andere kann es nicht mit dem Beruf vereinbaren und wenn beides stimmt, dann klappt es nicht. Obwohl sich Rohrer der Vorteile einer jungen Mutter bewusst ist und diese schätzt, erinnert sie sich an schwierige Zeiten. Im Gegensatz zu Katrin Lüthi, die sich durch die Erwerbstätigkeit ihres Mannes finanziell keine Sorgen machen musste, kämpfte Rohrer. Wenn die Eltern der studierenden Jungfamilien ihnen nicht unter die Arme greifen können, kann es zur Geldnot kommen. Ohne die Unterstützung von verschiedenen Stiftungen wäre es auch um Rohrers kleine Familie schlecht gestanden. Das Angebot an finanziellen Hilfeleistungen in der Schweiz ist glücklicherweise enorm. Dankbar meint Rohrer: «Das ist echt bemerkenswert. Ich musste noch nie Kleider für Josiah kaufen!» Wie soll man sich als werdende Mutter oder Vater im Studium bestensfalls verhalten? Die Befragten sind sich einig. Das muss jeder selbst einschätzen, da es von den persönlichen Umständen abhängt. Sie alle ringen mit verschiedenen Schwierigkeiten. Rohrer rät: «Es ist immer noch das Beste, sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen.» Und wie ergeht es dem unverhofften Jungvater Philip Sorgenfrei mit seinem Schicksal heute? Er habe sich inzwischen wieder gefangen, das Studium fortgesetzt und sich mit seiner Situation abgefunden. Und das Verhältnis zu Simones Mutter? «Das ist super, wir wissen beide wie wichtig das für die Kleine ist.» *Namen der Redaktion bekannt

Nur Wenige kriegen Kinder

Studierende Eltern sind nach wie vor eine Seltenheit. Laut der letzten Studie des Bundesamtes für Statistik haben lediglich 6 Prozent der Studierenden ein oder mehrere Kinder. Spannend sind die unterschiedlichen Zahlen an den Fachhochschulen und den universitären Hochschulen. An den Fachhochschulen liegt der Elternanteil mit fast 8 Prozent deutlich höher als bei universitären Hochschulen mit knappen 5 Prozent. Tendenz sinkend. In den letzten zehn Jahren ist der Prozentsatz der Studierenden mit Kindern an universitären Hochschulen um 2 Prozent gesunken. An den Fachhochschulen machen rund die Hälfte der Studierenden Eltern Frauen aus. Das Geschlechterverhältnis an den universitären Hochschulen hingegen ist deutlich unausgeglichener. Eine Mehrheit von 72 Prozent der Studierenden Eltern ist weiblichen Geschlechts. Vergleicht man die Studierenden mit der Wohnbevölkerung, so haben Studierende seltener Kinder. Ein Viertel aller 25 bis 29-jährigen hat bereits ein oder mehrere Kinder. In der Studierendenpopulation sind es nur noch 3 Prozent.