Duell: Kinder
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Dafür
Wer gerät nicht in Verzückung angesichts eines strampelnden Wonneproppens? Wer kann sich dem Bann von Kinderäuglein entziehen, die neugierig die Welt entdecken? Scheinbar die Spezies Frauen und Männer, die gegen Mutter Natur pubertieren. Erkennbar an betont abgeklärten Aussagen wie: «Ich will nie Kinder haben!» Wie bitte? Wer keine Kinder zeugt, ist ein evolutionärer Verlierer. Seine Gene nicht weiterzugeben, bedeutet das endgültige Aus im Lauf der Dinge. Dinosaurier haben ihre Gene nicht weitergegeben und sind kläglich ausgestorben. Es ist, als ob man nie existiert hätte. Ein Leben ohne Kinder ist zudem wie eine fade Suppe. Kinder geben dem Leben erst einen Sinn. Keinen Nachwuchs zu haben, bedeutet eine Lücke im persönlichen Erfahrungsschatz, die sich irgendwann als latente charakterliche Unreife äussert. Denn Kinder fordern viel ab. Verantwortung zu übernehmen, wird plötzlich wichtiger, als jeden Tag seinen Lohn zu versaufen. Geld und Zeit werden stattdessen in die Zukunft des Kindes investiert. Dies ist kein Verlust, wie es auf den ersten Blick erscheint, sondern ein Gewinn. Man formt etwas Gutes und wächst dabei über sich hinaus.
Kinder danken auf ihre Weise, indem sie das Leben eines jeden bereichern. Mit ihrem natürlichen Blick auf Dinge gelingt es ihnen oft, uns (Halb-)Erwachsenen eine unverdorbene Sicht der Welt zu zeigen und halten uns somit einen Spiegel vor. Mit Kindern ist es nie langweilig. Mann kann mit ihnen spielen, sie zurechtweisen, loben, schimpfen, sich mit ihnen unterhalten oder «Spongebob Schwammkopf schauen» ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Und wer zahlt denn später unsere Pensionskasse oder besucht uns im Altenheim? Die Kinderlosen werden uns dabei nur eifersüchtig betrachten und ihre letzten Tage traurig und alleine fristen mit der Gewissheit, im Leben etwas verpasst zu haben. Kinder sind ausserdem gut für das Ego. Sie machen stolz und fördern das Selbstbewusstsein. In der Kinderkrippe kann man das ausspielen und vor anderen Mamis prahlen: «Seht her, der Junge mit der Brille und dem rotzigen Gesicht, das ist meiner!» Ein Hoch auf Kinder.
Dagegen
Neulich in der Badi. Mittwoch Nachmittag. Ich und mein Bruder. Und das Kind. Sein Kind. Jawohl, mein Bruder, der stolze Vater eines heranwachsenden Zöglings, zählt keine zwei Lenze mehr als ich, befindet sich also in der Blüte seines befristeten Daseins und steht mitten im Leben. Dürfte man meinen.
Der geplante Planschausflug belehrte mich eines Besseren. Dem ist nicht so. Nicht mit dem Nachwuchs, dieser ohrenbetäubend lauten, quirligen, zappeligen, wuseligen, zuweilen ungestümen, hitzköpfigen, gar jähzornigen Brut! Denn eines gleich vorweg: Erblicken die vermeintlichen Engel erstmal das Licht der Welt, ist es aus mit dem Leben. Mit dem eigenen Leben. Fertig Spontanität. Fertig Unabhängigkeit. Fertig lustig. Willkommen in der Welt der Windeln, Fläschchen, Nuggies und Strampelanzüge. Und das Engelchen entpuppt sich als nervtötendes Balg.
So zumindest für den Aussenstehenden. Für mich. An diesem friedlichen Mittwochnachtmittag. Kaum mein Badetuch ausgebreitet, finde ich mich wieder, umzingelt von Kinderwägen, eingeengt von Schwimmhilfen, inmitten von gellendem Kindergeschrei. Kinder, so weit das Auge reicht. Kleine Kinder, grosse Kinder, weinende Kinder, raufende Kinder, quengelnde Kinder, schmollende Kinder, gar Säuglinge. Und natürlich die liebenden, fürsorglichen Mütter. Und mein Bruder mit seiner Filia. Der frechen Rotzgöre.
Denn anders als die sich um mich tummelnden Raufbolde (keine zwei Seiten meines Buches war ich zu lesen im Stande), die immerhin dem Anschein nach fähig waren sich, wenn auch nur für kurze Zeit, mit sich selbst zu beschäftigen, braucht die kleine Göre des Bruders alle Aufmerksamkeit ihres Umfeldes. Ständig stellt das altkluge Ding mir Fragen. Unmögliche Fragen notabene! Fragen, die mich in Erklärungsnot bringen. In Verlegenheit bringen. Und schlussendlich schier zur Weissglut treiben. Der Vater derweil brüstet sich bei der Badinachbarin mit der Wissbegierigkeit und Scharfsinnigkeit seines gewieften Sprösslings (dem Kind steht eine verheissungsvolle Zukunft bevor – vielleicht eine baldige Nobelpreisträgerin?), ich hingegen erkenne lediglich Potential zum Besserwisser.
Eine lebhafte Diskussion unter den Eltern entbrennt. Einziges Thema: die Kinder. Und während man sich also angeregt über sein Ein und Alles austauscht, lässt eben dies mich zur Erkenntnis kommen, dass ich vom Kindersegen verschont bleiben will. Vorerst, zumindest. Denn bei mir ist noch nicht fertig mit lustig. Noch lange nicht.