Geschichte an der Uni? Oder doch Physik an der ETH? Oder gar eine Fachhochschule? Patrice Siegrist

Die Qual der Wahl

Schülerinnen und Schüler aus der ganzen Schweiz haben sich am Informationstag der UZH und ETH über ihr Wunschstudium informiert. Ebenso unsere Reporterin.

14. September 2009

Muss ich ein Mathegenie sein, um an der ETH studieren zu können? Warum kann man Biologie an der Uni und an der ETH studieren? Und wieso kommt man vom Haupteingang eigentlich nicht direkt in den Lichthof? Fragen über Fragen, die sich letzte Woche angehende Maturandinnen und Maturanden aus der ganzen Schweiz gestellt haben. Sie nahmen am Informationstag der Uni und ETH Zürich teil. Ich habe mich ihnen angeschlossen, da es nach drei Jahren doch mal an der Zeit, seine Studienwahl kritisch zu hinterfragen (und da ich mir eh ein neues Studium suchen muss, wenn ich nicht bald anstelle von ZS-Texten meine Seminararbeit schreibe).

«Burnout? – Wir sind für dich da!»

Meine Tarnung scheint jedenfalls zu funktionieren. Am Infoschalter händigt mir die nette Studentin aus meinem Jahrgang eine Broschüre aus und erklärt mir den Weg in den Lichthof, wo es weitere Infos gäbe: «Einfach links oder rechts die Treppe runter.» Aha. Da links und rechts keine Treppen zu sehen sind, schliesse ich mich einigen Maturandinnen und deren Handtaschen an, die sich auszukennen scheinen. Die Maturandinnen. Nicht die Handtaschen. Glücklich im Lichthof angelangt, decke ich mich mit weiteren Broschüren ein (darunter «Burnout? – Wir sind für dich da», «Sitzt du auf der Strasse? – Melde dich bei uns» und weitere heitere Angebote). Zu meinem grenzenlosen Bedauern muss ich feststellen, dass die Studienpräsentationen für die Fächer Mathematik und Wirtschaftschemie bereits vor zehn Minuten begonnen haben. Dabei wollte ich mich doch extra über Sachen informieren, die ich vor drei Jahren nicht mal mit der Zange angefasst hätte. Nicht, dass sich meine Mathe- oder Chemiekenntnisse in den letzten drei Jahren erheblich verbessert hätten, eher im Gegenteil. Aber man soll sich schliesslich alle Möglichkeiten offen halten. Nun ja. Da ich von einem Fotografen begleitet werde, der auch noch zufrieden gestellt werden will, beschliessen wir, uns in die Rechtswissenschaftsvorlesung reinzuschleichen. Dort werden vermutlich so viele Leute sein, dass wir locker unbemerkt ein Foto von mir und den vielen Zuhörenden machen können. Der Saal ist tatsächlich proppenvoll. Als ich die Türe vorsichtig öffne, purzeln mir gleich einige Maturanden entgegen, die sich mangels Sitzgelegenheiten dagegen gelehnt hatten. Womit auch schon fest steht, dass dieses Studium ebenfalls nichts für mich ist – da ich meistens eher knapp vor Vorlesungsbeginn an der Uni auftauche, müsste ich ständig im Gang am Boden sitzen.

Mittelalterarchäologe zum Anfassen

Im Lichthof treffe ich auf zwei Maturanden aus Zürich, die sich wundern, weshalb ich so begeistert vom Infotag bin, dass ich unbedingt Fotos von mir im Lichthof haben will. Die beiden haben es sich gemütlich gemacht – sie wussten bereits, dass sie in St. Gallen Wirtschaft studieren wollen und geniessen den schulfreien Tag. Ich mache mich auf Erkundungstour um zu sehen, was die Uni sonst noch zu bieten hat. Die einzelnen Fakultäten sind nach Stockwerken eingeteilt. Da ich meine mathematisch-naturwissenschaftlichen Pläne nachher an der ETH weiter verfolgen will, lasse ich Geschoss E aus und mache mich direkt auf den Weg ins 2. OG – das Reich der Philosophischen Fakultät. Vor mir machen gerade zwei Hemdträger eilig rechtsumkehrt. Ob sie wohl das Mittellatein oder doch eher der Ethnologiestudent mit den Dreadlocks abgeschreckt hat? Eins ist klar: Hier wird Kopfarbeit geleistet. Das ist schwer darzustellen und noch schwerer ist es, dafür zu werben. Einzig bei den Mittelalterarchäologen gibt es etwas zum Anfassen: Die haben kurzerhand ihren Assistenten in die Kleidung eines mittelalterlichen Burgknechts gesteckt.

Experimente an der ETH

Das totale Gegenteil bekommt man dafür am Infotag der ETH zu sehen. Im Hauptgebäude stehen Pavillons, die mich an die Züspa erinnern und von erstaunlich vielen Frauen bevölkert sind. Wo sie die wohl alle herhaben? Die angehenden Ingenieure haben komplette Versuchsapparate aufgebaut und auch der vielzitierte ETH-Rennbolide steht prominent in der Gegend herum. Maschinenbau hat mich insgeheim ja schon immer fasziniert, deshalb bleibe ich schliesslich bei einem aus allerlei zusammengesteckten Röhren bestehenden Turm stehen. Der nette langhaarige Maschinenbauingenieur, der daneben steht, erläutert mir geduldig die Funktion des Apparates, der von Verfahrenstechnikern entwickelt wurde. Offenbar mache ich aber bei seiner Frage, ob ich wisse was Plasma sei, ein zu verdutztes Gesicht – die Erklärungen liefert er nämlich hauptsächlich dem Fotografen, welcher wohl eher dem Zielpublikum entspricht. Auf unsere abschliessende Frage, wie denn das Studium genau aufgebaut sei und ob man gut in Mathe sein müsse, grinst er nur und kommt schnell wieder auf die praktische Arbeit im Labor zu sprechen – die allerdings erst im dritten Jahr beginnt.

Da ich es an der ETH nicht einmal zwei Tage aushalten würde, flüchte ich zurück an die Uni ins 2. OG. Dort lasse ich mich von der doch einigermassen grossen Auswahl an Berufsfeldern für angehende Historiker überraschen, diskutiere mit Literaturwissenschaftlern die Vor- und Nachteile von Wolfgang Borcherts Gesamtwerk als Lizthema und blättere bei den Mittellateinern entzückt in einem Buch mit den Cimelien der Stiftsbibliothek St. Gallen. Vor drei Jahren habe ich mich doch richtig entschieden!