«Uni von unten» wehrt sich gegen kapitalistisch gesteuerte Vorträge. Philip Schaufelberger

Traubenzucker gegen Vasella

Mitten in der Fianzkrise werden an der Uni Vorträge von Topmanagern angekündigt. Unter den Studierenden formiert sich Widerstand. Den Vortrag von Daniel Vasella sagt die Uni ab.

4. Mai 2009

Martin Meyer lädt im Herbst 2007 die Herren Daniel Vasella, Jean-Pierre Roth und Peter Brabeck zu Vorträgen an der Uni ein. Der Vorstandsdelegierte des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung (SIAF) organisiert regelmässig solche Veranstaltungen. Die internationale Finanzkrise erschüttert ein Jahr später die Weltwirtschaft. Die Topmanager von Novartis, Nestlé und der Nationalbank sind jetzt nicht nur «interessante Persönlichkeiten», wie sie Meyer nennt, sondern als Zugpferde des Neoliberalismus höchst umstrittene Personen. Als die Uni Ende Februar für diese Vortragsreihe wirbt, kommt Leben in die Bude.

Eine Gruppe Studierender gründet das Aktionskomitee «Uni von unten». Dieses bezeichnet die Vorträge als einen Affront gegenüber den Studierenden. «Wir wehren uns gegen den wachsenden Einfluss der Privatwirtschaft auf unsere Bildung», sagt ein Gründungsmitglied. «Uni von unten» richtet sich momentan vor allem gegen die Vorträge des SIAF, will sich jedoch längerfristig für die Interessen der Studierenden einsetzen und gegen den Einfluss der Privatwirtschaft auf die Bildung ankämpfen.

Wer hat Angst vorm Schwarzen Block?

Kreativ verbreitet die Gruppe ihre Kritik an der Uni. Sie besuchen in weissen Kitteln Vorlesungen und verteilen «Novartis-Ritalin» aus Traubenzucker. Vor der Uni verteilen sie Flugblätter. Sie wollen diesen «Zyklus des Grauens» – die Vorträge von Vasella, Roth und Brabeck – stoppen. Mit dieser Veranstaltungsreihe biete die Uni den Kreisen eine Plattform, die ohnehin schon einen grossen Einfluss auf die Uni hätten. Sie geben zu bedenken, dass heute verschiedene Vertreter der Privatwirtschaft im Unirat Einsitz nehmen. «Uni von unten» sieht das SIAF als einen «neoliberalen Think Tank, der auf die Bildung Einfluss nehmen will». Sie fordern vor Vasellas Vortrag, der am 31. März geplant ist, auf Plakaten dazu auf, ihn «gebührend zu empfangen».

Gleichzeitig tauchen Sprayereien am Unigebäude auf. Diese sagen es noch deutlicher: «Vasella hau ab!» Nun hat Maximilian Jaeger, Delegierter des Rektors, genug. Er geht auf die bisher anonyme Gruppe zu und stellt sie zur Rede. «Uni von unten» distanziert sich klar von diesen Sprayereien. Deswegen befürchten die Unileitung, das SIAF und die Stadtpolizei, dass sich «gewaltbereite Gruppierungen wie der Schwarze Block als Trittbrettfahrer an der Uni profilieren wollen».

Was nun? Für Philosophieprofessor Georg Kohler, der im Verwaltungsrat des SIAF Einsitz hat, ist der Fall klar: «Ich kann mich noch gut daran erinnern, als der Vizepräsident der Credit Suisse, Hans-Ulrich Dörig, von Studierenden ausgepfiffen wurde.» Damals sei die Redefreiheit in Frage gestellt worden. Der SIAF-Vorstandsdelegierte Martin Meyer telefoniert mit Vasella. Dieser sagt, er würde schon hinstehen und sich der Kritik stellen. Dennoch sagt die Unileitung den Vortrag ab.

Demonstration vor der Uni

Für «Uni von unten» ist «der Rückzug Vasellas ein erster Sieg gegen die Einflussnahme der Konzerne auf die Universität». Die Köpfe der Gruppe setzen sich am 31. März zusammen und beraten die Situation. Von einer «randalierenden Meute» ist an dieser Sitzung nichts zu sehen. In einer konstruktiven Diskussion einigt man sich darauf, vor der Uni ein Zeichen zu setzen und weiter zu informieren.

Vor dem Deutschen Seminar versammeln sich die Aktivisten zu einer Demonstration. Danach ziehen sie mit einem Megafon vor die Uni. Hier vermehren sich die Demonstrierenden rasch. Auch wenn um sechs Uhr abends an der Uni nicht mehr viel los ist, bleiben einige Studierende und Dozierende stehen und interessieren sich für die Anliegen von «Uni von unten». Ein Teil der rund 70 Studierenden marschiert danach noch durch die Uni, an einem Apéro der Credit Suisse vorbei. «Ein voller Erfolg», nennt es eine der beteiligten Aktivistinnen. Die Aktion bleibt friedlich (ZS-Online berichtete).

Sonnenschein und finstere Mienen

Nun will die Aktionsgruppe ihrem Protest mehr Inhalt verleihen. «Uni von unten» plant eine Gegenveranstaltung: Im Anschluss an den Roth-Vortrag sollen Christian Felber, Präsident der globalisierungskritischen Bewegung Attac Österreich, und Peter Streckeisen, Soziologe der Uni Basel, in einem anderen Raum an der Uni sprechen.

Die Initianten sind froh, dass sie dafür die Erlaubnis der Unileitung erhalten haben: «So ist es uns möglich, eine Meinungsvielfalt herzustellen», sagt ein Mitglied. Bei den Vorträgen des SIAF sei es unmöglich, die Vortragenden ausführlich zu kritisieren.

Doch was steckt hinter diesem viel kritisierten SIAF? Die Vorstandsmitglieder Georg Kohler, Professor am philosophischen Seminar, und Martin Meyer, Feuilleton-Chef bei der NZZ, warten bei strahlendem Sonnenschein in Kohlers kühlem Büro an der Zürichbergstrasse. Grosse, alte Bäume umgeben die Altbau-Villa. Die beiden empfangen mit einem freundlichen Lächeln. Beim Thema «Uni von unten» verfinstern sich aber die Mienen. «Ich wehre mich dezidiert dagegen», sagt Meyer, «dass wir ein neoliberaler Think Tank sind. Dieser Vorwurf ist absurd.» Sie würden aber durchaus einsehen, dass die Reihe Vasella-Roth-Brabeck angesichts der aktuellen Lage Emotionen hervorrufe. Meyer betont: «Wir bemühen uns sehr darum, ein möglichst breites Spektrum anzubieten.» Wichtig sei aber vor allem, dass die Vorträge interessant seien und von kompetenten und prominenten Rednern gehalten würden. Eine Meinungsvielfalt sei da nicht zwingend. Das SIAF untersteht keiner Partei, verfolgt aber gemäss Kohler eine «freiheitliche und liberale Linie». Die finanzielle Unterstützung von Firmen wie Nestlé oder UBS macht es möglich, Redner wie Vasella für die Uni zu gewinnen. Die Firmen würden sich aber nicht in das Programm des SIAF einmischen, sagen Kohler und Meyer.

Zieht das SIAF nun Konsequenzen aus diesem Konflikt? Man habe in der Vergangenheit auch schon an eine Podiumsdiskussion gedacht. Die Organisation einer solchen Veranstaltung sei aber sehr aufwändig, sagen die beiden Vorstandsmitglieder. In Zukunft bemühe sich das SIAF jedoch um eine entsprechende Veranstaltung.

Für «Uni von unten» sind dies Lippenbekenntnisse. «Das SIAF hat bisher nicht gezeigt, dass es an einer Meinungsvielfalt interessiert war», meint ein Aktivist.

Fortgesetzt wird diese Geschichte vorerst am 6. Mai – dann kommt Jean-Pierre Roth an die Universität. «Uni von unten» schreibt dazu in ihrem Communiqué: «Niemand wird die Vorträge von Roth oder Brabeck verhindern.» Wie lange wird der Waffenstillstand dauern?