Hier spricht eine Frau: Sind Männer heute treuer? Curdin Albin

«Da kannst du gleich eine Puppe nehmen!»

Wie ticken wir heute in Sachen Liebe? Was geht in Ordnung? Was können wir verzeihen? Was ist nicht erlaubt?

4. Mai 2009

Ich stehe auf der Mensaterrasse und suche meine ersten Opfer. Der Frühling meint es gut mit mir. Die Sonne lockt nicht nur Blumen aus der Erde, sondern auch Studierende aus den Gebäuden. Meine Mission: Mit ihnen über Liebe reden. Das kann ja heiter werden.

Die Liebe fürs Leben?

Ich steuere auf eine Gruppe Studentinnen zu. Unverhofft sprudeln sie los, sodass ich nicht mehr weiss, wo ich hinhören soll. Es bilden sich zwei Fronten. Prompt rücken sie die Stühle so um den Tisch, dass die Grenze klar ersichtlich ist. Die Psychologiestudentin erachtet einen Treuebruch als inakzeptabel, unter keinen Umständen verzeihbar. «Entweder bin ich die Nummer eins oder dann ist fertig.» Sie hegte die romantische Vorstellung der Liebe fürs Leben. «Unsinn!» entfährt es der Jusstudentin aus der Opposition. Ihrer Ansicht nach hat jeder Mensch Triebe. Auch in einer glücklichen Beziehung ist die Lust auf andere Sexualpartner natürlich. Man müsse nur lernen, damit umzugehen, um einen Seitensprung zu vermeiden. Ihre Kommilitonin nickt eifrig: «Unser Gesellschaftsmodell schreibt einen Partner vor, eigentlich wäre er anders gestrickt.» Die dritte Jusstudentin: «Ich wünschte mir, es wäre realistisch, eine Person fürs Leben zu finden.»

Später ziehe ich weiter auf die Polyterrasse. Dort überrascht mich eine Publizistikstudentin: «Dates mit anderen Männern müssen Platz haben. Wenn die Beziehung stimmt, passiert auch nichts.» Mit dieser Ansicht stösst sie bei ihren Freundinnen auf Unverständnis. Sie kennen in einer Bindung das Verlangen nach anderen Männern nicht. «Wenn du dich mit anderen triffst, bist du dir nicht hundertprozentig sicher.»

Fremdgehen geht gar nicht

Nach diesen Gesprächen unter Frauen möchte ich wissen, was das «starke Geschlecht» dazu meint. Am Rand der Polyterrasse erspähe ich eine Gruppe bei Bier und Schwatz. Als ich vor ihnen stehe und mein Sprüchlein runterleiere, stutze ich plötzlich. Einer unter ihnen entpuppt sich als Freund einer Freundin von mir. «Du kannst auch passen» beruhige ich ihn. Er erzählt trotzdem. Die fünf Agrarer sind sich einig. Fremdgehen ist ein absolutes «No go». «Sex ohne Gefühle ist nicht dasselbe. Da kannst du ja gleich eine Puppe nehmen.» Alles treue Bauernjungs? Oder nicht ganz ehrlich um dem Kollegen nicht in den Rücken zu fallen?

Beschwingt über die Offenheit der Studierenden verabschiede ich mich von meiner letzten Gesprächsgruppe. Das war ja leichter als gedacht. Mein Fazit: Treu sein wollen sie alle. Doch überraschenderweise fällt es den Studenten leichter als ihren weiblichen Mitstreiterinnen. Schön, diese treuen Männerseelen. Obwohl sie auf mich einen sehr aufrichtigen Eindruck gemacht haben, frage ich mich, wie ehrlich sie aussagten. Hätten sie mit einem Mann anders geredet? Ich entscheide mich, ihnen zu glauben. Ermutigt durch diese Erkenntnis verlasse ich mit den letzten Studierenden die Polyterrasse.