Beeinflussen Lehrkräfte der «Fischlifraktion» Kinder auf suggestive und subtile Weise? Philip Schaufelberger

Unterrichten in Gottes Namen

Viele Studierende an der Pädagogischen Hochschule sind streng religiös. Wird das Klassenzimmer zur Bibelschule?

25. März 2009

Zwei Lehrerinnen im Praktikum. Ein Schüler kommt zum Lehrerpult und fragt: «Sie, gälled Sie, Schwuli sind au Mänsche?» Die Lehrerin ist baff. Bestätigt dann aber sofort, dass Schwule sehr wohl Menschen seien. Der Schüler steuert wieder seinen Platz an. Da sagt ihre Kollegin, Mitglied einer Freikirche, leise zu ihr: «Darüber lässt sich also streiten.» Das ist kein atheistisches Propagandamärchen, sondern so geschehen im Kanton Zürich, vor nicht allzu langer Zeit. Die zwei Frauen sind angehende Lehrerinnen und studieren an der Päda-gogischen Hochschule (PH) in Zürich. Dass viele gläubige Studierende die Lehrerausbildung absolvieren, ist an der Hochschule ein Tabuthema. Wie ein glühendes Stück Kohle, das alle sehen aber nicht anfassen wollen. Man kennt das Phänomen, man ist irgendwie beunruhigt, mit Namen genannt werden will man aber nicht. «Z'heiss» sei es, dazu Auskunft zu geben. Oder: «Das ist doch etwas Persönliches, das fragt man nicht.»

Ein Drittel ist religiös

«Meine Schätzung: 50 Prozent sind religiös, 20 Prozent davon sind Fundamentalisten», sagt Gaby*, Studentin an der PH. Erkennbar seien die Gläubigen an kleinen Merkmalen: Tätowierte Kreuze am Hals, Armbänder aus Plastik oder an ihrem Verhalten im täglichen Unterricht. Im neuen Pflichtfach «Religion und Kultur» zum Beispiel. «Die nehmen das voll ernst und korrigieren dauernd unsere Dozentin», sagt Gaby. Wenn Witze über den Teufel gerissen werden, bricht schon mal jemand in Tränen aus. Im Ethik- und Moralunterricht höre man öfters die Forderung, man solle neben der Evolutionstheorie im Biologieunterricht auch die Schöpfungstheorie lehren. Und wird über die Bibel geredet, fallen Sätze wie: «Sie, wo steht denn das genau? Das kommt aber drauf an!» Neben Freikirchlern studieren auch Mitglieder der ICF, Baptisten oder Juden an der PH. Statistiken gibt es keine. Glaubt man Studierenden, erreicht die «Fischlifraktion», wie sie im Alltag von den Mitstudierenden genannt wird, einen Anteil von 10 bis 30 Prozent.

Klassenspaltung am Unterstrass

Exemplarisch zeigt sich die Anhäufung christlicher Studierender am Institut Unterstrass, das an die PH angegliedert ist. Es gilt als «Gschpürschmi»-Variante der Lehrerausbildung. Vor 150 Jahren wurde das Institut als «Evangelisches Lehrerseminar» gegründet, heute ist es konfessionsneutral – aber noch immer stellen die Christen die Mehrheit. Sandra*, selbst nicht religiös, macht am Unterstrass die Ausbildung zur Primarlehrerin. Zuerst wiegelt sie bei der Frage nach den vielen gläubigen Studierenden ab. «Freikirchler?», sagt sie und überlegt, «gibt es bei uns nicht mehr als anderswo.» Dann hält sie kurz inne und zählt nach: «Einen, zwei, drei, warte, es sind noch mehr.» Zum Schluss ist sie doch etwas erstaunt: Fast die Hälfte der Klasse ist religiös. Rahel* studiert ebenfalls am Institut Unterstrass. «Unsere Klasse ist in zwei Gruppen gespalten, wir und die anderen», erzählt sie, «eine gläubige und eine ungläubige Fraktion.» Man arbeite miteinander, gehe aber getrennte Wege, sobald die Veranstaltungen vorbei seien. Sie lernen im gleichen Klassenzimmer, leben aber in unterschiedlichen Welten: Die religiöse Gruppe braucht viel Zeit fürs Beten, Singen oder Lesen in der Bibel, hat eine völlig andere Lebensgestaltung. Wenn die einen morgens um sechs im Klassenlager noch im Tiefschlaf liegen, treffen sich die anderen, um gemeinsam die Bibel zu studieren. Zur Ausbildung am Institut Unterstrass gehört auch die obligatorische Woche «Religiöse Grundfragen». Dort sprechen die künftigen Lehrkräfte auch über ihren eigenen Glauben. Und dort öffnen sich die Gräben, über denen sonst eine Decke des Schweigens liegt. Viele erschrecken, wie sich ihre Mitstudierenden plötzlich äussern. «Da wurde auch gesagt, dass alle, die den eigenen Glauben nicht teilen, in die Hölle kämen», erinnert sich Rahel. Bis dahin unauffällige Studierende wurden zu glühenden Verfechtern ihres Glaubens. «Die sind so in dem Ganzen drin, die können nicht mehr kritisch denken», regt Rahel sich noch heute auf. Wer Jesus in Frage stelle, werde sofort abgeschrieben.

Alle anderen kommen in die Hölle

Auch Daniela* studiert am Institut Unterstrass, sie ist streng gläubig und Mitglied einer kleinen Freikirche. «Ich glaube daran, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat», stellt Daniela klar. Ihr Glaube sei der einzig richtige, weil er komplett sei. Allen anderen Glaubensrichtungen fehle ein Element. Darum ist sie auch der Überzeugung, dass «es in der Bibel steht, dass Ungläubige in die Hölle kommen.» Zum Beispiel Primarschüler muslimischen Glaubens. Daniela stammt aus einer Lehrerfamilie, die Wahl zwischen einem Kunst-Studium und der PH sei ihr nicht leicht gefallen.Aber Gott habe ihr den Weg gezeigt. «Er hat für jeden Menschen einen Plan», ist Daniela überzeugt. Den Kindern etwas weiterzugeben, das liege ihr. Wichtig seien ihr Werte wie Vertrauen und Wertschätzung. «Alle Menschen sind Gotteskinder,» meint Daniela. Es wäre für sie auch kein Problem, eine Multikultiklasse zu unterrichten. «Das fände ich sogar sehr interessant», sagt sie begeistert. In der Naturkunde würde sie neutral und kritisch lehren, religiöse und weltliche Anschauung gleichstellen. Und das obwohl «die Evolutionstheorie durchaus widerlegt werden kann,» wie sie sagt. Gewisse moderne Inhalte würde sie aber auch kommentieren oder in einigen Punkten widersprechen.

Lehrberuf aus Nächstenliebe

Vertreter und Dozierende reagieren etwas ratlos, wenn man sie fragt, warum all diese religiösen Studierenden Lehrer werden wollen. David Bucher, Student an der PH, ortet die Gründe bei der Erziehung. «Von klein auf sind solche Leute in religiösen Gruppen aktiv», sagt er. Der Lehrerberuf habe eine starke soziale Komponente, und das spreche gläubige Menschen an. Er glaube nicht, dass allfällige missionarische Interessen dahinter steckten. Studentin Sandra vermutet, viele gläubige Studierende würden schon früh eine Familie gründen wollen. Dazu eigne sich der Lehrberuf sehr gut. Als Primarlehrerin könne man gut Teilzeit arbeiten. Für Matthias Gubler, Leiter des Institut Unterstrass, liegen die Gründe tiefer. «Ich fürchte eben doch, dass da eine Art missionarischer Einsatz dahinter steckt», erklärt Gubler. Man finde Leute mit «Botschaften» häufiger in pädagogischen Berufen. «Menschen, die etwas vermitteln wollen, werden eben eher Lehrer als Ingenieure», sagt er. Dass es am Institut Unterstrass mehr Religiöse gibt als an der PH selbst, glaubt er nicht.

Schwänzen wegen Zungenkuss

Doch was will die «Fischlifraktion» eigentlich? Lebt sie ihre Religion in der Freizeit aus oder will sie im Schulzimmer auf Mission gehen? Wieder gehen bei den Studierenden die Scheuklappen hoch. «Das wissen wir doch nicht», sagt eine Studentin. Eine andere scheint allerdings nur auf eine Gelegenheit gewartet zu haben, sich ihren Frust einmal von der Seele zu reden. «Die einen sind easy, andere weniger», sagt sie. Je extremere Positionen sie vertreten, desto eher stiessen sie bei Mitstudierenden auf Unverständnis. Dass man sich als Strenggläubige vom obligatorischen Modul Sexualpädagogik dispensieren lassen könne, weil da ein Bild mit Zungenkuss gezeigt wurde, goutiert sie nicht. «Es geht gar nicht ums Christensein, sondern um den Fundamentalismus. Wenn Leute glauben, schwul zu sein, sei eine Krankheit, dann ist das doch eine Menschenrechtsverletzung!», ruft sie aus. Ist es nicht, denn jeder darf glauben was er will. Die Religionsfreiheit ist ein von der Verfassung garantiertes Menschenrecht. Auch das Recht auf Ausbildung. Niemand kann festlegen, wer mit welchem Glauben studieren darf.

Aber sonst ist die rechtliche Situation schwammig. Die Trennung von Religion und Staat ist in der Schweiz nicht vollständig. Die Bundesverfassung beginnt mit «Im Namen Gottes des Allmächtigen!» Aber jeder Kanton vertritt in der Praxis eine etwas andere Auffassung, in Zürich gilt grundsätzlich: Die Schulen müssen konfessionell neutral sein. Aber wie neutral kann eine streng gläubige Lehrperson muslimische Kinder unterrichten, sofern sie überzeugt ist, dass diese in die Hölle kommen, wenn sie nicht konvertieren? «Missionieren tun sie später nicht absichtlich, aber ich glaube, unbewusst tun sie das», drückt Unterstrass-Studentin Rahel ihre Befürchtungen aus. Auch Matthias Gubler vom Institut Unterstrass sieht da durchaus Konfliktpotenzial: «Die Lehrperson muss ihre religiösen Überzeugungen im Unterricht zurückhalten können,» sagt er. Als Lehrperson sei es kein Problem, offen zu seinem Glauben zu stehen. Das Schlimmste wären laut Gubler aber ständige, unterschwellige moralische Botschaften im Unterricht, die das Kind nicht richtig einordnen kann.

Unverbindliche Lehrpläne

Jede Lehrperson gibt im Unterricht etwas von ihrer Persönlichkeit mit. Und niemand muss sklavisch dem Lehrplan folgen. Wer will, kann in der Oberstufe beispielsweise die Evolutionstheorie auch einfach weglassen. Dafür hat Gubler kein Verständnis: «Wenn unsere Leute das nicht vertreten können, sollen sie sich einen anderen Job suchen!», sagt er,«wissenschaftliche Erkenntnisse müsse sie akzeptieren.» Die Schöpfungstheorie solle man behandeln, aber im Religions- und nicht im Biologieunterricht. Gubler war dieses Jahr an der Woche «Religiöse Grundfragen» am Unterstrass mit dabei. «In meinen Augen gehen einzelne Positionen in Richtung Fundamentalismus», sagt er, «und ich denke, extreme fundamentalistische Positionen sind sehr heikel.» Auch Hugo Stamm, Fachmann für religiöse Fragen, sieht Missionierungspotenzial: «Die eigene Überzeugung drückt im Unterricht immer irgendwie durch», sagt er. «Da Gläubige aus Freikirchen einen grossen Missionsdrang haben, besteht die Gefahr, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler bewusst religiös beeinflussen», führt er aus, «durch das persönliche Verhältnis in der Klasse gibt es viele Möglichkeiten, die eigenen Überzeugungen auf suggestive und subtile Weise auf die Kinder zu übertragen.» Sprüche wie «Da hät dä lieb Gott aber kei Freud!» seien noch harmlose Bemerkungen. «Eltern haben es sehr schwer, religiöse Beeinflussungen nachzuweisen und sich gegen die Lehrer zu wehren», erklärt Stamm.

Säkulare Schule?

Wird unser Bildungssystem also von Fundamentalisten unterwandert? Gehen unsere Kinder zu Lehrkräften in die Schule, die Schwule für «absonderlich» halten und im Biologieunterricht erzählen, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat? Das ist wohl übertrieben, aber Studierende, Dozierende und Experten sind beunruhigt: Alle wollen die Entwicklung mit wachsamen Augen verfolgen. Und fordern, dass die Hochschule ihren Studierenden die Wichtigkeit einer strikten Trennung von Glaube und Unterricht einprägt. Am Institut Unterstrass ist das schon Realität: «Es wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass alle Glaubensrichtungen offen betrachet und neutral bewertet werden», sagt Rahel, «es wird uns eingetrichtert, dass wir uns im Unterricht zurückhalten sollen.» Solche Worte hört man an der Pädagogischen Hochschule von niemandem. Im Gegenteil, das Thema werde «totgeschwiegen», sagt Gaby, «die PH thematisiert das einfach nicht.» Lässt man die Gefahr einer Missionierung im Klassenzimmer beiseite, räumen auch Kritiker der «Fischlifraktion» ein, dass gläubige Menschen oft sehr gute Lehrer sind. «Ein freikirchlicher Hintergrund kann sehr problematisch, aber natürlich auch sehr fruchtbar sein», sagt Johannes Kilchsperger, der an der PH die Fachgruppe Religion und Kultur leitet. «Es war schon immer so, dass religiöse Leute eher einen Lehrberuf wählen», weiss er. Er kenne Lehrpersonen, die kreativ und offen seien und bewusst mit ihrem Hintergrund umgingen. Und zumindest ein Kompliment an die «Fischlifraktion» kommt auch von Seiten der unreligiösen Studierenden. Sie bewundern, wie herzlich ihre christlichen Kommilitoninnen mit Kindern umgehen. *Name der Redaktion bekannt

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