Zürcher Studierendenzeitung

Liebe Mata Hari,

ich will meinem Professor die Prüfungsfragen klauen. Was soll ich tun?

Gloria Füglisthaler

Liebe Gloria,

wie geehrt ich mich fühle, ma chère, bei solch einer delikaten Frage um Rat gebeten zu werden! Mögen dir meine wohlüberlegten Ratschläge die Geheimnisse des Doppellebens zu Tage führen. Gestatte mir, dir ohne grosse Umschweife die wichtigsten Punkte darzulegen.

Als Studentin, die du jetzt bist, musst du dich unverzüglich aus des Professors Umfeld zurückziehen. Werde unsichtbar! Du existierst nur noch als diese, mir unbekannte Nummer, die auf euren neumodischen Pässen steht. Ich glaube, ihr nennt sie Leggie oder Légie?

Anschliessend, ma petite, folgt die Zeit des intensiven Studiums. Finde heraus, wer dein Professor wirklich ist. Welchen Vergnügungen geht er nach? Welche Literatur, welche Art Frauen, welche Speisen bevorzugt er? Erforsche seine Identität und seine Vergangenheit. Mit diesen Informationen erschaffe aus dir das für ihn perfekte Wesen. Werde seine erotische Muse, sein Bijoux. Doch das Wichtigste: Übe dich in Geduld und Perfektion, ma belle! Taste dich behutsam an deinen Professor, bis du Teil seines Lebens bist. Als seine Gespielin wirst du alles von ihm bekommen.

Die Zeit wird dir eine Entscheidung abverlangen. Willst du in das Leben der Studentin zurückkehren und gibst dich mit den banalen Prüfungsfragen zufrieden oder saugst du dein Opfer aus und ziehst weiter? Als Femme fatale wird dir die Welt offen stehen. Sei versichert, dieses aventurereiche Leben lohnt sich.

Ein Letztes, ma chérie: Sei niemals käuflich! Verwende dein Doppelleben nie zu Spionagezwecken. Denn so wirst du dich in die Abhängigkeit und damit in dein Unglück stürzen.

Mata Hari (Margareta Geertruida Zell), *1876, † 1917, arbeitete in Paris als exotische Tänzerin. Ab 1915 war sie auch als Agentin H21 für den deutschen Geheimdienst tätig. 1917 verurteilte man sie wegen Spionage zum Tod.