«Ich habe gelernt, Prioritäten zu setzen»: Olga Meier-Popa, Gleichstellungsbeauftragte an der Universität Zürich. Denis Twerenbold

«Jede Situation muss individuell betrachtet werden»

Alleine kümmert sie sich um die Anliegen von Studierenden mit einer Behinderung. Olga Meier-Popa spricht über eine fortschrittliche Uni und uneinsichtige Dozierende.

25. März 2009

Frau Meier-Popa, sie sind alleine für die Betreuung aller Studierenden mit Behinderung zuständig. Welchen Stellenwert hat die Beratungsstelle Studium und Behinderung (BSB) an der Universität Zürich überhaupt?

Der Stellenwert ist verhältnismässig hoch. Die Universität Zürich war in ihrer Geschichte im Vergleich zu anderen Universitäten immer sehr engagiert in diesem Bereich. Seitdem es in der Schweiz das Behindertengleichstellungsgesetz gibt, entstanden überall Projekte und Kontaktstellen. Bis heute gibt es jedoch keine vergleichbare Beratungsstelle wie die unsere. Die Universitätsleitung hat gegenüber unseren Anliegen stets ein offenes Ohr, aber die Ressourcen sind bei uns, wie auch bei anderen Stellen, knapp. Meine Stelle beträgt 60%. Ich habe gelernt, Prioritäten zu setzen und diese aber auch schnell und flexibel zu ändern. Damit komme ich gut zurecht.

Sie erwähnten das Behindertengleichstellungsgesetz – wie sehr wird dieses an der Universität Zürich auch umgesetzt?

Das Behindertengleichstellungsgesetz wurde 2004 im Bundesgesetz verankert und 2006 vom Kanton Zürich in die Kantonsverfassung übernommen. Ich habe mich sehr dafür engagiert, dass dieses Gesetz auch in der Universitätsordnung verankert wird. Im letzten Februar wurde ein entsprechender Antrag angenommen. Damit ist Zürich die einzige Universität, die so etwas in ihrem Gesetz hat. So können wir unseren Anliegen mehr Druck verleihen.

Wer sind «wir»?

Jedes Jahr geben etwa 130 Studierende an, von unterschiedlichen Behinderungen, die sie in ihrem Studium einschränken, betroffen zu sein. Einige von diesen Studierenden kommen dann auf die BSB zu, um sich bei der Lösung von konkreten Problemen unterstützen zu lassen.

Was sind das für Studierende und mit welchen Behinderungen studieren diese?

Behinderungen gibt es sichtbare und unsichtbare. Behindert ist für mich, wer aufgrund von Funktionseinschränkungen Anpassungen in seinem Umfeld braucht. Das sind einerseits Studierende mit Mobilitätseinschränkungen, Hör- oder Sehbehinderungen oder chronischen Krankheiten. Aber es gibt auch Studierende mit unsichtbarer Behinderung wie zum Beispiel dem Asperger-Syndrom oder einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Weiter gibt es zahlreiche Studierende mit psychischen Problemen. Es ist mir wichtig, jede Situation individuell zu betrachten. Ich habe eine sehr hohe Achtung vor den Studierenden, die trotz Einschränkung in ihrem Studium verbleiben. Sie müssen sehr viel Zeit aufwenden, um sich zu organisieren und haben kaum Freizeit während des Studiums.

Wie genau unterstützen Sie diese Studierenden?

Beispielsweise besorge ich für Studierende mit Sehbehinderung entsprechende Studienliteratur im Digitalformat. Gerade naturwissenschaftliche Bücher mit den zahlreichen mathematischen Formeln sind oft sehr schwierig aufzutreiben. Ausserdem kann ich zusammen mit den betroffenen Studierenden die individuelle Anpassung der Prüfungsbedingungen nach dem Prinzip der Chancengleichheit beantragen und die Verantwortlichen bei der Organisation dieser Einzelprüfungen unterstützen. Oft melden sich die betroffenen Studierenden erst viel zu spät und mit teilweise schwer nachvollziehbaren Gründen. Mein Ziel ist ein einheitliches Verfahren, mit dem solche Prüfungsmodifikationen geregelt werden können.

Haben denn die Dozierenden Verständnis gegenüber den Studierenden mit Behinderung?

Grundsätzlich ja. Wir haben momentan eigentlich keine wirklichen Problemfälle. Aber bei einigen Dozierenden würde ich mir mehr Verständnis wünschen. Das beginnt bei kleinen Dingen. Für Studierende mit Hörbehinderung ist es beispielsweise sehr wichtig, dass die Dozierenden deutlich ins Mikrofon sprechen. Oft wird das aber ignoriert oder geht bei Publikumsvoten vergessen. Wenn ich mich mit diesem Anliegen an die Dozierenden wende, sind die meisten aber sehr offen dafür.

Gibt es denn auch Dozierende mit Behinderung?

Ja, kürzlich erhielt ich eine Email von einer Dozentin mit einer Mobilitätsbehinderung, die wissen wollte, wo sie einen geeigneten Parkplatz finden kann. Es gibt aber auch noch weitere Dozierende mit Mobilitätsbehinderung oder anderen Behinderungen. Ich gebe zu den unterschiedlichsten Anliegen Auskunft. Auch im Hausdienst gibt es eine Person mit einer Behinderung.

Was für Projekte verfolgen sie daneben sonst noch?

Im Moment erstellen wir eine umfassende Datenbank über die baulichen Zugänglichkeiten und die Einrichtungen für Menschen mit Behinderung an der Universität Zürich. Ende Jahr sollen alle diese Informationen online zugänglich sein

Gibt es auch internationale Projekte, an denen sie mitarbeiten?

Im letzten Jahr nahm ich als Vertreterin für die Schweiz an einer europäischen Konferenz in Bruges zum Thema «Studieren mit Behinderung im Bologna-System» teil. Ich war beeindruckt, dass es beispielsweise in Schweden, Slowenien und Irland nationale Netzwerke gibt, die sich für den Universitätszugang für Studierende mit Behinderung einsetzen. Mein Wunsch wäre, ein solches Netzwerk auch in der Schweiz aufzubauen.

Zur Person

Olga Meier-Popa studierte Sonderpädagogik und ist seit 2003 bei der Beratungsstelle tätig. Seit Januar 2009 arbeitet Meier-Popa mit einem Pensum von 60% für die BSB und betreut Studierende mit Mobilitäts-, Hör- und Seh-Problemen sowie mit psychischen Behinderungen; mit Dyslexie, ADH, Asperger-Syndrom und chronischen Krankheiten. Die BSB hat ihren Ursprung in der Studierendenbewegung der 68er Jahre. 1976 wurde der Beratungsdienst für behinderte Studenten, der erste dieser Art im deutschsprachigen Raum, am Institut für Sonderpädagogik gegründet. 2003 wurde die heutige BSB den Rektoratsdiensten angegliedert und gehört seit 2006 der Abteilung Studierende an.

Links

Anlaufstelle für Studierende mit Behinderung

Projekt Uniability