Dagegen, die Studienwahl steuern zu wollen: Georg Kohler. Lukas Messmer

Fette Fische und Postdemokratie

Professor Georg Kohler über das umstrittene Lehrangebot am philosophischen Seminar, die Konsumentenmacht der Studierenden und die Autorität der Dozierenden.

25. März 2009

Herr Kohler, an ihrem Seminar tobt der Aufstand! — Um Himmels Willen, aber warum kann ich ihn nirgends erkennen?! Nein, was ich wahrnehme, ist eine wichtige Auseinandersetzung um Lehr-inhalte und Lehrstuhldefinitionen.

Die Studierenden fordern Sie, die Professoren, heraus und wollen mehr von Philosophen wie Marx, Sartre und Derrida hören. — Wir haben ein breites Lehrangebot. In den vergangenen Jahren sind auch Veranstaltungen über diese Philosophen angeboten worden, gerade auch von Privatdozierenden. Das Problem ist allerdings, dass durch die BA-Studiengänge das Angebot tatsächlich verengt worden ist. Das ist der Preis der Verschulung, die mit der Bologna-Reform untrennbar verknüpft ist.

Ein Teil der Philosophie-Studierenden will aber ein «Establishment» der angelsächsischen Philosophie am Werk sehen, das die genannten kontinentaleuropäischen Philosophen hinten anstellt. — Das ist sicher falsch; es gibt dieses Establishment nicht. Zwei unserer sechs Professuren lassen sich bedingt dieser Strömung zuordnen. Ausserdem ist die angelsächsische Philosophie in gewissen Fachgebieten einfach federführend. Jedenfalls versuchen wir, unser Lehrangebot ausgewogen zu gestalten. Aber ich gebe zu: Alles für jeden können wir nicht liefern.

Eine Mehrheit der Studierenden hat nun beschlossen, den frei werdenden Lehrstuhl für Allgemeine Ethik, künftig mit einer Professur für Zeitgenössische und Moderne Philosophie zu belegen. Eine schlaue Idee? — Nein. Der Vorschlag suggeriert zum Beispiel, dass heute gar keine Zeitgenössische Philosophie gelehrt würde – was schlicht falsch ist. Aber das ist wohl nicht der Sinn des Vorschlags. Es geht darum, die kontinentaleuropäische Philosophie insgesamt am Seminar zu verstärken. Auf Kosten der Ethik. Die jeweiligen Lehrinhalte hängen aber auch stark von der Person ab, die man beruft.

Durchsetzen können sich die Studierenden sowieso kaum. In der Berufungskommission sind sie bloss mit einer Stimme vertreten. — Das ist richtig. Es müsste schon eine Spaltung unter der Professorenschaft geben, damit ihr Plan realisiert werden könnte.

Was ist Ihre Haltung zu den Forderungen der Studierenden? — Wir, die Professoren, sind der Meinung, dass der Lehrstuhl die Ausrichtung in Allgemeiner Ethik beibehalten soll, weil nur so dieser international anerkannte Forschungsschwerpunkt der Universität erhalten bleibt. Und ein klares Profil zu besitzen, ist im Zeitalter des Wettbewerbs zwischen den Universitäten essentiell.

Werden wir etwas grundsätzlicher. Finden Sie das eigentlich gerecht, dass die Studierenden so wenig zu sagen haben, wenn es darum geht, was sie vorgesetzt bekommen? — Ja, ich finde das richtig. Das könnte man nun ausführlich begründen. Entscheidend ist zum einen, dass die Professorenschaft die langfristige Stabilität und Qualität der Institution sichern muss. Das heisst, sie muss unabhängig von Stimmungswechseln unter den Studierenden ein gewisses Profil garantieren können. Die Perspektive der Studierenden ist anders. Sie machen eine Entwicklung durch; vom erstaunten kleinen Fischchen, das ins Aquarium kommt und vor jedem Hai Angst hat, zum eleganten – oder auch fetten – Fisch. Nach fünf, spätestens acht Jahren sollten sie die Uni wieder verlassen haben. Die Professoren hingegen verbringen gewöhnlich 15 bis 20 Jahre an einer Uni.

Reicht das als Machtlegitimation? — Nein. Die Universität soll eine asymmetrische Struktur haben. Lehrende dürfen und müssen Autorität beanspruchen. Professoren, die nicht «Jetzt hört mir mal zu!» sagen können, haben den Beruf verfehlt. Sie sollten dem Anspruch auf begründete Autorität dann allerdings auch gerecht werden können.

Und wer kontrolliert die Professoren? — Wir werden stark in die Pflicht genommen. Unsere Lehrveranstaltungen werden intern und extern evaluiert, wir stehen im Licht der Öffentlichkeit. Auch die Studierenden üben Macht aus: als Konsumenten. Die Unileitung schaut sehr genau darauf, welches Institut und welcher Dozierende wie viele «Studierenden-Brötchen» backt – also Arbeiten und Prüfungen abnimmt. Das zeigt sich an der Entwicklung des Politikwissenschaftlichen Studiums. Als ich dies vor mehr als einem Jahrzehnt als Hauptfach mitbegründete, waren wir drei Professoren. Die Studierendenzahlen sind in der Folge extrem gestiegen. Heute hat das Politikwissenschaftliche Institut acht Lehrstühle.

Die Studierenden bestimmen als Konsumenten nicht mehr als politische Akteure mit. Ist die Postdemokratie an der Uni angekommen? — Da müssten wir wieder lange reden. Aber natürlich ist auch die Demokratie mit der Idee des Marktes verwandt. Die Bürger, beziehunsgweise die Studierenden, sollen aus einem Angebot – seien das nun Produkte, Parteien oder Studiengänge – wählen können, was sie wollen. Das finde ich gut. Ich bin dagegen, die Studienwahl steuern zu wollen.

Was sollen aber die Studierenden machen, für die es kein entsprechendes Angebot gibt? Beispielsweise kontinentaleeuropäische Philosophie? — Nochmals – wir bemühen uns, ein ausgewogenes Lehrangebot zu liefern. Das Bologna-System erlaubt den Studierenden aber auch, eine andere europäische Universität zu besuchen, wo es vielleicht Studiengänge gibt, die besser den entsprechenden Wünschen genügen.

Herr Kohler, Sie studierten selbst in der Hochphase der 68-er in Zürich Philosophie. Wir nehmen an, die heutigen Diskussionen sind ein Klacks gegen das, was damals abgegangen ist. — Ich schrieb damals in der ZS über das Verhältnis zwischen Studierenden und Professoren. Wir hatten das Gefühl, dass es um wirklich Grosses geht. Diese Stimmung herrscht heute leider nicht mehr. Die Studierenden sind in der Tat konsumorientierter eingestellt – vielleicht doch ein wenig postdemokratisch.

Georg Kohler (63) ist seit 1994 Professor für Politische Philosophie an der Uni Zürich. Bis letztes Semester stand er dem Philosophischen Seminar vor. In einem Jahr wird er emeritiert.