Vier Pillen reines Glück: plötzlich diese Übersicht. Lukas Messmer

Alles ist erleuchtet

Unser Reporter beschloss, die Welt mal anders zu sehen. Und warf sich im Burghölzli Pillen ein. Die Welt wurde zum Zirkus. Und Merlin kam.

25. März 2009

Ich schlucke erst leer. Dann schlucke ich die Pillen. Skeptisch habe ich sie Sekunden vorher beäugt und in der Hand hin und her geschwenkt. Diesmal muss der echte Stoff drin sein. Das Placebo habe ich vor einer Woche genommen.

Ich habe es mir im Zimmer WA 120 in der Psychiatrischen Uniklinik Burghölzli bequem gemacht. Der Raum ist spartanisch eingerichtet: Kalte Wände, ein Sofa mit mir obendrauf, ein Blutdruckmessgerät, zwei Stühle, ein tiefergelegter Tisch. Jetzt heisst es warten.

Nietsche im Zirkus

November, vergangenes Jahr. Ich nehme das Telefon zur Hand und wähle die Nummer von Felix Hasler, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Psychiatrischen Klinik des Unispitals Zürich. Ich will ihn um Drogen bitten.

Per Zufall habe ich mitbekommen, dass Hasler, Halluzinogenforscher, an Versuchspersonen die Wirkung von Psilocybin testet. Hasler nimmt den Hörer ab und erklärt mir um was es ging: Einen Trip zu wissenschaftlichen Zwecken, Verdienst: 800 Franken. Ich denke nach. Etwa eine Sekunde lang. Und sage zu.

Eine halbe Stunde ist um. Unruhig lese ich auf dem Sofa. Das Psilo klopft an. Plötzlich ist mir schwindlig, am Rand meines Blickfelds flimmert es. Ein warmes Kribbeln gräbt sich durch meine Beine und schleicht sich nach oben. Dann passiert es. Ein gewaltiger Überdruck sticht in mein Ohr. Die beiden Wasserflaschen auf der Kommode vor mir verschmelzen für kurze Zeit.

Ich versuche weiterzulesen, aber Nietzsches Sätze entlocken mir nur ein versifftes Grinsen. Die Welt um mich wird zum Zirkus. Doch erst wartet die Arbeit: Ich beantworte Fragen zu meiner Gefühlslage, dann sitze ich stoisch an einem Computer und teste meine Reaktionsfähigkeit. Schon bald fläze ich mich wieder auf dem Sofa. Der intensivste Teil des Rauschs kommt noch.

Zwischen Schlafen und Wachsein

Dezember. Ich stapfe durch den Schnee dem Bürghölzli zu, einem mächtigen Gebäude am östlichen Stadtrand Zürichs. Am Eingang wartet ein Mann. Seine Haare stechen in alle Himmelsrichtungen. Er sieht ein wenig so aus, wie man sich einen durchgeknallten Forscher vorstellt. «Willkommen an Bord.» Felix Hasler, 43, grinst.

Ich werde getestet wie ein Astronaut vor dem Mondflug. Ich fülle Fragebögen aus, man will von mir wissen, ob ich von Zeit zu Zeit das Bedürfnis habe, andere Leute zu prügeln, ob in meiner Familie jemand psychotisch veranlagt ist.

Dann erklärt mir Felix Hasler das Experiment. Zweimal werde ich ins Burghölzli kommen. Einmal schlucke ich ein Placebo, das andere Mal das Psilocybin. Es ist das synthetische Substrat von halluzinogenen Pilzen, die Wirkung ist dieselbe. Mit den Experimenten erforscht Hasler, wie die Drogen bestimmte Gehirnrezeptoren beeinflussen. Nachdem die Fragebogen abgehäkelt sind, lächelt Felix Hasler fein. «Den Trip kannst du dir etwa so vorstellen, als ob du permanent in der Phase zwischen dem Wachsein und dem Schlafen bist», erzählte er. Man habe das Gefühl, tiefere Wahrheiten zu erkennen.

Das reinste Glück, der tiefste Frieden

Vorerst grinse ich nur. Das liegt auch an Felix Hasler, der grossartig den Trip-Concierge gibt. Es ist ihm wichtig, dass die Probanden nicht nur Versuchskaninchen spielen, sondern auch geniessen können. Der Dramaturgie des Rausches folgt Hasler mit seinem bewährten Psilo-Soundtrack. Lounge-Musik zur Einstimmung. Jazz nach den ersten schüchternen Symptomen.

Und dann, als das Psilocybin ganz von mir Besitz genommen hat, setzen die zarten Streicher von Max Richter und Arvo Pärt ein. Ich bin müde und will doch nicht schlafen – ich bin in der Welt zwischen Schlaf und Wachsein angekommen. Wie ein Kind ziehe ich Arme und Beine an den Bauch und kuschel mich ins Sofa zur träumerischen Klimax.

Alles ist erleuchtet. Ich sehe kein grelles Farbenmeer. Doch mein Leben und die Welt erscheinen in unendlicher, wunderschöner Klarheit. Denn alles macht Sinn, was ich je gemacht habe, alles scheint goldrichtig. Grenzenlose Selbstliebe. Das reinste Glück, der tiefste Frieden. Die Schoggiseiten des Lebens im Hochkonzentrat.

Nur etwas Traurigkeit

Die Probanden würden ganz unterschiedlich auf die ungeahnten Gefühlswallungen reagieren, erzählt Felix Hasler. Einige würden den Kontrollverlust fürchten. Andere würden von der Wirkung fast erschlagen. Wer sich aber einfach hingibt, kann im farblosen Untersuchungszimmer im Burghölzli wunderschöne Stunden verbringen. Einer Probandin, erzählt Hasler, seien die Tränen gekommen.

Nach etwa drei Stunden zersetzt sich das Psilocybin. Wenn der Rausch verklungen ist, hallt kein Kater nach. Das Psilo hinterlässt keine Leere. Nur etwas Traurigkeit. Der Zauber ist wieder von der Welt gegangen. Wie wenn Merlin ins Zimmer getreten wäre und seinen Stab geschwungen hätte.

Noch halb benommen bin ich wieder in der Welt angekommen. Eine wundersame Reise liegt hinter mir. Ein kicherndes Aufblühen und dann ein tiefes Insichkehren. Ein kindliches, vielleicht auch kindisches Glück, das sich dann erbarmungslos verabschiedete – und nur den Hauch einer flüchtigen Erinnerung zurückliess. Ich bleibe noch ein wenig sitzen; müde, überwältigt. Dann wage ich mich in die Kälte hinaus.