Samuel Nussbaum

Ach du studierst Wirtschaftsinformatik?

Du magst wohl Blackberrys, Computer und adrette Hemden?

25. März 2009

Vor einem Jahr hast du noch lachen können. Die Wirtschaftskrise war noch kein Thema und du hattest ehrgeizige Pläne. Verwaltungsratssitz, Head of IT, vielleicht sogar CEO. Egal. Hauptsache Geld. Das gewöhnliche Wirtschaftsstudium fandest du plump und ordinär. «Das studiert doch jeder», dachtest du. Und: «Ich bin zu Höherem berufen». Da die Welt der Computer dich schon seit der Pubertät interessiert – und dich treu durch diese begleitete – hast du die monetären Ambitionen mit deiner Affinität zu binären Codes verknüpft.

Direkt nach der Immatrikulation hast du das Abo der Financial Times bestellt. Diese macht sich gut neben deinem teuren Laptop und lässt dich schlau aussehen. Dir ist nämlich wichtig, dass deine Mitmenschen deine zukünftige Bedeutung in der Arbeitswelt erkennen können. Daher auch das adrette Hemd, die polierten Lackschuhe und das latente Gefühl der Überlegenheit. Mein: «Ich studiere Psychologie», amüsiert dich. «Ich werde später mal das Zehnfache von deinem Lohn verdienen», würdest du gerne sagen und laut lachen, würde nicht gerade dein brandneues Blackberry klingeln. Deine Freizeit widmest du der eigenen Firma. Dass dabei dein Sozialleben leidet, ist dir egal. Denn, hey, du wirst in zehn Jahren ein hohes sechsstelliges Salär beziehen. Wer braucht da schon Freunde, richtig? Vor dem Einschlafen denkst du an dein zukünftiges Leben, das beruhigt dich. Ein Ferrari, nein, ein Porsche… nein beides wird einmal vor deinem Haus am Zürichsee stehen!

Du wirst bei Google arbeiten und ganze drei Blackberrys besitzen. Diese Vorstellungen geraten wegen der Wirtschaftswelt ins Wanken. Finanzkrise, Börsencrash, Rezession. Komplexe Wirtschaftssoftware, entwickelt von Leuten aus deiner Zunft, verursachte das Sub-Prime-Schlamassel in den USA. Du fürchtest um deine berufliche Zukunft, dein sechsstelliges Salär, die Blackberrys. «Was wäre, wenn…?», denkst du. Tränen schiessen dir in die Augen. Du atmest tief durch: «Ich bin kein einfacher Wirtschaftsstudent, ich bin kein einfacher Wirtschaftsstudent, ich bin kein…!»

Ein Wirtschaftsinformatik-Student antwortet:

Selbstverständlich sind wir zu Höherem berufen. Während die Wirschaftsstudenten ihre (selbstverständlich abonierte) Financial Times noch auf toten Bäumen lesen laden wir sie uns jeden morgen automatisch mit der Espressomaschine auf unseren E-Book-Reader. Während die Wirschaftsstudenten wegen der Krise tatsächlich um ihren Bankenpraktikas zittern, haben wir unser während der Kantonsschule gestartete Web 2.0-Startup bereits vor Jahren verkauft (irgendwas muss uns ja auch teuren Laptop, Massanzug und die drei Blackberrys bezahlen). Soviel zu den Klischees.

Sind wir vielleicht tatsächlich nur wenig bessere Wirschaftsstudenten? Darüber sind wir uns selber nicht ganz einig, defektieren doch immer wieder Studenten nach dem Wirtschaftsinformatik Bachlor für das Masterstudium zurück ins Kollegiengebäude zu den Ökonomen. Hier liegt aber auch einer der grossen Vorteile des Wirtschaftsinformatikstudium. Während FH- oder ETH-Informatiker vieleicht in Nebenfächern die rudimentärsten Grundlagen lernen und Wirtschaftler gerne Informatik mit Windows installieren verwechseln, können wir uns gleichfalls fortgeschrittene Mikroökonomik, Corporate Finance, Personalöknomie oder Asset Pricing aneignen, ohne deshalb auf eine fundierte Informatikausbildung verzichten zu müssen.

Mit den Psychologen kommen wir übrigens ganz gut aus, teilen wir doch gleiches tristes Exil in Oerlikon. Seit ihrem Zuzug ist die testosterongetränkte Gefängnisatomsphäre der ersten Tage dem Süssen Duft von Nina Ricci und Estée Lauder gewichen.

Christian Kündig