Wenn eines der Beine wegbricht, wird der Tisch zusammenfallen. Michael Kühni

Feuer und Rauch im Kopf

Nicht nur Manager sind betroffen. Das Phänomen «Burnout» gibt es auch an der Uni. Ein Betroffener erzählt von brennenden Tischen und Dozenten, bei denen es einem ablöschen kann.

14. Februar 2009

«Das Leben ist ein Tisch mit vier Beinen. Eines steht für die Familie, eines für die Freunde, eines für die Arbeit und eines für die Hobbys. Sobald ein Bein wackelt oder gar verloren geht, wird zwangsläufig auch der Tisch zusammenfallen.» Das hat Mirko* in der Therapie gelernt. Mirko ist 24 Jahre alt und studiert BWL an der Universität Zürich. Vor zwei Jahren hatte er ein Burnout. Er erlitt einen Kreislaufkollaps und brach am helllichten Tag zusammen. «Als ich danach im Spitalbett aufgewacht bin, wusste ich lange Zeit nicht was überhaupt mit mir geschehen war. Ich wollte einfach nur noch schlafen, schlafen, schlafen», erzählt er mit einem müden Lächeln. Als er dann die Diagnose «Burnout» bekommen habe, sei er sogar richtig erleichtert gewesen. Erst da schien alles irgendwie Sinn zu machen.

Ein schleichender Prozess

Ein Burnout ist nicht einfach plötzlich da. «Man muss es sich eher als zirkulären Prozess vorstellen», sagt Ulrich Frischknecht. Er ist Fachpsychologe für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Beratungsstelle der Universität Zürich. «Wenn sich verschiedene Faktoren wechselseitig negativ beeinflussen und verstärken, entsteht eine Art Teufelskreis, der nur schwierig aufzuhalten ist.» Sehr wichtig seien gute und regulierende soziale Kontakte. Wenn solche Leute fehlen oder sich die Betroffenen bewusst von ihrem ursprünglichen sozialen Umfeld abkapseln, ist diesem Teufelskreis nur noch schwerlich beizukommen.

Mirkos soziale Kontakte zu Freunden und Familie beschränkten sich zusehends auf ein Minimum. Bis zu seinem Zusammenbruch betrieb er ein anstrengendes Vollzeitstudium mit zusätzlichen Lernstunden in der Bibliothek. In der freien Zeit arbeitete er bei einem Privatradio. Nicht nur das ganze Wochenende, sondern oftmals auch noch in den freien Stunden über Mittag. 16 Stunden Arbeit pro Tag wurden schleichend zur Regel.

Auf die Frage, ob niemand sein Verhalten als beunruhigend empfunden und sich um ihn gekümmert habe, sucht Mirko lange nach einer Antwort. Schliesslich nickt er bedächtig: «Doch, natürlich sagten mir einige, der Stress würde mich noch umbringen. Aber alle haben immer und überall Stress, das ist gilt fast schon als Statussymbol – warum hätte ich also keinen Stress haben dürfen?»

Mirko wirkt auch nicht wie ein schrulliger Einzelgänger, im Gegenteil: Er sieht adrett aus, kann sich gewählt ausdrücken und verfügt nach eigenen Angaben mittlerweile auch wieder über ein intaktes soziales Netz. «Freunde», wie er sagt, «die eigentlich das Recht hätten sich nicht mehr mit mir zu beschäftigen, so sehr habe ich sie damals ignoriert.»

Dass es ihm heute wieder so gut geht, verdankt er unter anderem auch der Therapie, die er nach dem Zusammenbruch aufnahm und die bis heute andauert. Mirko trifft sich wöchentlich mit einem Psychiater und redet vor allem mit ihm. Das sei keine lästige Pflicht, sondern vielmehr eine Befreiung. «Befreiend ist vor allem die Gewissheit, dass man nicht einfach ein ‹Psycho› ist. Burnout ist nicht die hohle Phrase, für die ich es immer hielt. Es ist eine Krankheit, die unter bestimmten Umständen jeden treffen kann», meint er nachdenklich.Zusätzlich zu den Gesprächen muss Mirko auch Medikamente zu sich nehmen. Dies sei jedoch ein lästiger Habitus geworden, über den er nicht gerne spricht. Er ist zuversichtlich, dass er die Medikamente bald absetzen kann.

Produkt der Leistungsgesellschaft

Mit seiner Studienrichtung BWL ist Mirko mit seiner Burnout-Erkrankung unter den Studierenden eher eine Ausnahme. «Viel häufiger sind Studierende aus strukturschwachen Studiengängen betroffen», berichtet Frischknecht. Auch wenn dies nicht der gängigen Meinung entspricht: Vor allem die klassischen Phil-1-er neigen dazu, mangelndes Feedback seitens der Dozenten durch eine Zusatzbelastung mit überhöhten Anforderungen zu kompensieren.

Das Konzept «Burnout» ist also ein Produkt unserer Leistungsgesellschaft. Wer sich nicht ständig im Wettbewerb mit anderen messen kann, wer nicht «normal» arbeitet, den packt schnell die Angst sich nicht beweisen und als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft präsentieren zu können. Dabei sollten doch gerade auch während eines Studiums die Musse zur Selbstbeschäftigung und die Möglichkeit zur Selbstreflexion nicht zu kurz kommen. Das ist leichter gesagt als getan. Mirko sagt lächelnd: «Durch meinem Nebenjob dachte ich natürlich gar nie daran, mein Verhalten bezüglich Studium zu ändern. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich zu beklagen oder das geforderte Pensum als übertrieben zu betrachten.» Ausserdem würde niemand aus seinem Studiengang sich je bei einem Dozenten beschweren, auch wenn sich hinter vorgehaltener Hand alle über den Stress beklagten.

Diese Beobachtung bestätigt auch Frischknecht: «Die Bereitschaft zur Selbstfürsorge und der Mut, auf seine eigenen Interessen Rücksicht zu nehmen oder diese zu äussern, fehlen vielen Studierenden.» Um diesem Manko vorzubeugen sei eine offene Kommunikationskultur, zum Beispiel im Rahmen eines Seminars, unabdingbar. Da seien Studierende und Dozierende in gleichem Masse gefordert.

«Ich lerne, weil ich es will»

Seit Mirkos Zusammenbruch sind zwei Jahre vergangen. Inzwischen arbeitet er nur noch Teilzeit beim Radio. Durch die Therapie hat er gelernt zu erkennen, auf was es wirklich ankommt: «Das Bild des Tisches mit den vier Beinen leuchtet mir jetzt ein. Nur wenn diese da sind, kann ich mich überhaupt an den Tisch setzen.» An der Uni sei zwar alles business as usual, um sich selber mache er sich aber keine Sorgen mehr – nur noch um gewisse Mitstudenten. «Die machen schon fast die Schraube, wenn die Prüfungsphase wieder losgeht. Ich lerne auch. Aber nicht weil ich das Gefühl habe zu müssen, sondern weil ich es will.»

*Name der Redaktion bekannt.