In der Töffligarage kann man Schneemannsbäuche kleistern und New York nachbauen. Lukas Messmer

Kleistern gegen die Zivilisation

Unser Reporter half 0.8 Stunden in der Polyball-Werkstatt mit. Fürs Gratisticket reichte das nicht. Dafür entdeckte er beim Kleistern seine archaischen Triebe wieder.

24. November 2008

Ich habe mich schon oft gefragt, wo all die Requisiten herkommen, die dem Polyball jährlich zu optischem Glamour verhelfen. Dieses Jahr haben sich bereits ein paar Skifahrer auf der Kuppel der ETH eingefunden. Wie die da hochgekrochen sind, kann ich euch nicht sagen – aber sehr wohl, wo sie geboren wurden: In der Töffligarage, genannt TöGa, wo Studierende die Staffage für den Studierendenball basteln. «Das kann ich auch», denke ich und suche die Werkstatt im ETH-Hauptgebäude auf, die niemals schläft – sie ist bis zu 24 Stunden täglich geöffnet.

Am Eingang werde ich von einer Psychologiestudentin begrüsst, die hier alles beaufsichtigt. Alles wirkt recht professionell. Die Studentin trägt mich in ihren Computer ein und fordert mich dazu auf, für die Webcam zu posieren, die mein Foto an den Computer sendet. Ich erhalte eine Nummer und einen Strichcode. Käme ich ein weiteres Mal, müsste ich mich per Strichcode einloggen.

Kleistern macht kreativ

Dann gehts los. Soeben ist eine Ladung Holz eingetroffen, es wird nach zwei starken Männern verlangt, um die Fracht zu verstauen. Körperkraft zeichnet mich nicht in erster Linie aus – Hilfsbereitschaft schon eher. Eine Minute später finde ich mich hinter dem Lastwagen wieder und helfe auszuladen, darauf achtend, von den abstehenden Spänen nicht durchbohrt zu werden.

In der Hoffnung, nun etwas konkreter auf die Gestaltung der Requisiten einwirken zu können, kehre ich zurück. Drinnen arbeiten etwa zehn junge Leute an einer riesigen Abdeckung, die über den Boden ausgebreitet ist. Die Psychologiestudentin erzählt mir, hier sei eine Wand für einen Raum im Stile New Yorks in Entstehung. Hier mitzuarbeiten traut sie mir offenbar nicht zu.

Ich bin für eine andere Arbeit bestimmt – Kleistern. Die Werkstattchefin führt mich zu zwei grossen Kugeln. Eine soll ich mit einer Schicht Zeitungen überkleistern. Die Kugel sieht noch nach gar nichts aus. Ich habe keine Ahnung, an was ich da arbeite.

Doch schnell werde ich aufgeklärt: Ein Schneemann für den Eingangsbereich soll aus ihr einmal werden, genauer gesagt dessen Bauch. Endlich bin ich konkret beteiligt!

Archaische Triebe

Ich hatte ganz vergessen, welchen Spass Kleistern macht. Klar ist: Kleistern ist Handarbeit! Bloss keinen Pinsel verwenden! In unserer technokratisch entfremdeten Zivilisation, die das Essen mit den Händen nur noch Kindern erlaubt und den Menschen Nummern und Strichcodes zuteilt, spricht eine solche Arbeit einen unterdrückten Trieb an und bringt ihn zu voller Entfaltung.

Resultat nach gemachter Erfahrung: 0.8 Stunden Arbeit auf meinem TöGa-Konto (für zehn Stunden bekäme ich einen Gratiseintritt für den Ball), ein halb gekleisterter Schneemannsbauch – und am Wichtigsten: eine erkenntnisreiche Auseinandersetzung mit einem meiner Triebe. Nieder mit der Zivilisation!