Daumen raus und schauen wer anhält – beim Autostoppen lernt man viele Leute kennen. Marlies Aryani Rüegg

Daumen hoch und ab die Post

Hansjakob Hefti war ein Tramper in den 60er-Jahren, Lukas Eckhardt ist es heute. Beide finden: Autostoppen ist die billigste und abenteuerlichste Art zu reisen. Nur brauche es heute mehr Geduld.

24. November 2008

«Mit 20 Jahren hatte ich noch nie das Meer gesehen», erzählt Hansjakob Hefti. Das wollte er ändern, und so nahm er seine erste Reise per Anhalter in Angriff. Sie führte ihn nach Florenz, natürlich ans Meer. Ohne jegliche Italienischkenntnisse ging es mit einem Freund ins Abenteuer. Es war ums Jahr 1968, der Blütezeit der Hippies. Und diese Generation war es auch, die das Autostoppen zu einer verbreiteten Art des Reisens machte. Die Gründe für die Beliebtheit dieser Reiseart waren die Abenteuerlust, aber auch die fehlenden finanziellen Möglichkeiten der Reisenden.

Während seiner Gymnasialzeit verbrachte Hefti manche Ferienwoche in Italien mit Trampen. Geld war wenig vorhanden, und so machten sich die Freunde in kleinen Gruppen auf den Weg in den Süden. Sie bestimmten den Zielort und trafen sich dort. Schliesslich ist die Chance, zu viert einen Anhalter zu finden, bedeutend kleiner. Unterwegs erlebten sie unzählige Anekdoten. Einmal hatten sie sich schon damit abgefunden, unter einer Brücke zu übernachten, als es bereits eindunkelte. Oben auf der Strasse rauchten sie gerade «eine Pfeife», als doch noch jemand anhielt. Der Engländer im Auto sagte:«Wer Pfeife raucht, kann kein Italiener sein, darum habe ich euch mitgenommen». Italiener hätten zu dieser Zeit nicht den besten Ruf genossen, führt Hefti aus. Im nächsten Restaurant zahlte er den jungen Reisenden sogar noch ein Nachtessen. Seinen Eltern erzählte Hefti nichts von seinen Ausflügen, die hätten wohl keine grosse Freude gehabt. Schliesslich litten auch die schulischen Leistungen darunter, und das Gymnasium dauerte etwas länger als bei seinen Schulkameraden.

Auf einem Mafia-Markt gelandet

Später stöppelte er auch mit seiner damaligen Freundin und heutigen Frau. Sie gaben sich immer als Ehepaar aus. Auf dem Sofatara, einem Vulkankrater westlich von Neapel, lernten sie einen Italiener kennen, der sich als Geologe ausgab. Trotz Misstrauen liessen sich Hefti und seine Frau auf dem Vulkan rumführen, entdeckten den Ausnüchterungseffekt eines Schwefellochs und landeten später auf einem illegalen Markt der Mafia, wo «Gebrauchtwaren» gehandelt wurden.

Hansjakob Hefti ist heute Kantonsschullehrer in Dübendorf. Maturarbeiten lesen gehört zu seinen Aufgaben. Eine solche schrieb Lukas Eckhardt über das Reisen ohne Geld. So trampte er von Zürich bis nach Portugal und zurück und gab dabei keinen Franken oder Euro aus. Oft wurde er zum Essen eingeladen, erlebte aber auch einige komische Situationen. Ein offensichtlich schwuler Fahrer wollte ihn nach Hause einladen oder er wurde von einem ukrainischen Mann mitgenommen, mit dem keine verständliche Kommunikation möglich war. «Einmal musste ich geschlagene fünf Stunden im Regen auf die nächste Mitfahrgelegenheit warten», erinnert sich Eckhardt.

Internet gewinnt an Bedeutung

Die Grundsätze des Autostoppens waren in den 68er Jahren und heute dieselben. Abenteuerlust und wenig verfügbares Geld sind noch immer die Hauptgründe, um per Anhalter zu reisen. Es ist die Faszination des Unvorhersehbaren, sich einfach treiben zu lassen. Man trifft Menschen, mit denen man sonst nichts zu tun hätte. Man lernt neue Sprachen, Mentalitäten und alle möglichen Autotypen von innen kennen – damals wie heute. Geändert hat sich vor allem eines: Das Internet bietet heute Foren, in denen sich die Tramper-Community organisiert. Dort liest man auch, in welchen Ländern das Trampen verboten ist und wo es gar den öffentlichen Verkehr ersetzt, wo also auch Einheimische den Daumen hoch halten. Zudem ist es schwieriger geworden, Mitfahrgelegenheiten zu finden. Das sagt sowohl Kantonsschullehrer Hefti als auch Abiturient Eckhardt. Heutige Anhalter versuchen meist auf Raststätten und Tankstellen ihr Glück. Dort können die Tramper die Fahrer persönlich ansprechen; die Chance mitgenommen zu werden, ist grösser. Hansjakob Hefti würde seinen jüngeren Gleichgesinnten mitnehmen, würde er ihn am Strassenrand sehen. Doch er treffe heute sozusagen nie mehr auf Autostopper.