Als diplomierte Chemikerin studiert Simmler nach der Pension nun Geschichte. Lukas Messmer

«Wir nehmen euch keine Jobs weg»

Françoise Simmler studiert mit Begeisterung Geschichte. Ab und zu plagen die 67-Jährige die üblichen Studienprobleme.

27. Oktober 2008

Françoise Simmler sagt es während des Gesprächs gleich mehrmals: «Ich bin dankbar, dass ich hier studieren kann.» Einfach so, als Rentnerin, in einer Zeit, in der alles rentieren müsse. Simmler ist 67 Jahre alt und an der Uni im neunten Semester Geschichte eingeschrieben, im Nebenfach hat sie Ur- und Frühgeschichte gewählt. Das fasziniere sie besonders, erzählt sie, weil die Menschen aus dieser Zeit keine Schrift hinterlassen haben. «Deshalb muss man die Epoche mit naturwissenschaftlichen Methoden untersuchen», sagt sie begeistert.

Françoise Simmler will lernen, noch möglichst lange. Studienende? Das könne schon noch drei Jahre dauern, sagt sie. Um gleich anzuhängen, dass man das Lizenziat ja erst 2013 abschliessen muss. Ein schlechtes Gewissen habe sie deswegen nicht – nicht mehr. Zu Beginn des Studiums beschlich sie ab und zu das Gefühl, den Jungen die Plätze wegzunehmen. «Die Jobs nehmen wir euch aber garantiert nicht weg», schmunzelt sie.

Studienkrisen gibts auch im Alter

Ihre berufliche Laufbahn hat Simmler längst hinter sich. In den Sechzigern studierte sie an der ETH, an der Abteilung für Naturwissenschaften. Sie diplomierte als Chemikerin, danach arbeitete sie als Lehrerin und in Labors. Eine eigene Familie hat sie nicht. Nach der Pension stürzte sie sich im Herbst des Lebens in einen zweiten Bildungsfrühling. Im Sommer 2004 besuchte sie einen Lateinkurs, um ihre Mittelschulkenntnisse wieder aufzufrischen. So wurde sie nach 40 Jahren wieder zur Studentin und sass zusammen mit einer Horde grünschnäbeliger Maturaabgänger im Proseminar «Einführung in die Geschichtswissenschaft». Seither lebt Françoise Simmler wieder als Studentin, kämpft sich durch Bücher, sitzt in Vorlesungen – und hat auch dieselben Krisen wie ihre jungen Kommilitonen. «Wenn ich tagelang an einer Seminararbeit schreibe oder vor einem Referat nervös bin, dann frage ich mich manchmal, wieso ich mir das Studium aufgehalst habe», erzählt sie. Und fügt an: «Aber es ist auch eine Bereicherung, so viel ist neu und interessant, dass ich die Mühe gerne auf mich nehme.»

Keine Studiparties

In den ersten Wochen des Studiums habe sie eine leise Angst begleitet, nicht akzeptiert zu werden. «Ich befürchtete anfangs, dass die Dozierenden vielleicht denken könnten, ‹die Alte sollte doch lieber einen Kurs von Pro Senectute buchen› », erinnert sich Simmler. Fehl-alarm. Sie fühle sich ernst genommen. Auch von den jüngeren Studierenden weiss die Senioren-Studentin nur Angenehmes zu berichten. «Überraschenderweise», sagt Simmler und lächelt. Sie habe Angst gehabt, ausgegrenzt zu werden. «Dabei hatte ich bis heute nur selten das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Ein wenig Zurückhaltung kann nicht schaden. Ich spiele nicht gerne die Rolle einer Besserwisserin», so Simmler. Die Beziehungen blieben zwar oberflächlich, mehr wolle sie aber auch nicht. Gemeinsame Kaffeepause ja, Studiparty nein, so Simmler. Sie wisse schon, wann sie fehl am Platz sei.