Rauben uns die Senioren Zeit, Geld und Studienplätze? Samuel Nussbaum

Dauerfrager, Besserwisser und Platzbesetzer

Sie besetzen die besten Plätze, sind immer tiptop vorbereitet und stellen dauernd Fragen. Die häufigsten Vorurteile über alte Studierende und was Professoren von ihnen halten.

27. Oktober 2008

Wer kennt dieses Szenario nicht: Ab und zu klingelt der Wecker eben zu spät, und wenn man dann müde und verschwitzt ankommt, hat die Vorlesung bereits begonnen. Möglichst unauffällig versucht man, sich hineinzuschleichen und so schnell wie möglich einen Platz zu finden. Doch die ersten Reihen sind alle schon besetzt. Da reiht sich graues Haar dicht an dicht und wehe dem, der sich da vorbeidrängeln will.

Bundesrichter in der Vorlesung

Vor allem Phil-I-Studierende sehen sich in ihren Seminaren und Vorlesungen immer wieder mit älteren Generationen konfrontiert. Fragt man die Studierenden nach ihrer Meinung, erzählen viele von positiven Erfahrungen. Der Germanistikstudent Gian betont, dass die Senioren-Studierenden oft interessante Aspekte in eine Diskussion einbringen und neue Zugänge zu einem Thema eröffnen würden. Dies schätzt auch Professor Christoph Uehlinger vom Religionswissenschaftlichen Seminar – und ausserdem komme er sich dadurch etwas weniger alt vor. Der ehemalige Leiter des Klassisch-Philologischen Seminars, Professor Christoph Riedweg, hält fest: «Grundsätzlich wünscht man sich natürlich vor allem jüngere Studierende, wie es dem ‹Normalfall› an der Uni entspricht, aber auch die älteren Semester sind oft eine grosse Bereicherung, da sie mit spannenden Hintergründen in die Veranstaltungen kommen.» Er habe bereits vor ehemaligen Bundesrichtern oder Versicherungsdirektoren doziert.

Es gibt aber auch die andere Seite: Die Politologiestudentin Alexandra berichtet von pensionierten Kommilitonen, die es sich zeitlich leisten können, mit Zusatzwissen im Seminar zu erscheinen und sich dann darüber aufregen, dass nicht alle auf ihrem Wissensniveau sind. Viele jüngere Studierende haben schon Diskussionen zwischen Dozierenden und älteren Studierenden erlebt, in denen letztere mit ihrer Lebenserfahrung, aber völlig am Thema vorbei argumentiert haben. Ein besonderes Ärgernis seien die vielen Fragen, welche Senioren-Studierende stellen, hört man immer wieder. Eine Zeitverschwendung für die Jungen also? Nicht unbedingt. Die Geschichtsprofessorin Anne Kolb hat beobachtet, dass Senioren-Studierende sehr stark an der jeweiligen Thematik interessiert seien und ihre Interessen zielgerichteter verfolgten. Professor Christian Schwarzenegger vom RWI bestätigt das: «Ältere Studierende haben fast immer eine spezielle Motivation. So hatte ich einen Friedensrichter, der sich durch das Studium bessere Grundlagen für sein Amt erarbeiten wollte. Meine jetzige Vorlesung besucht ein 65-jähriger Generalunternehmer, der sich für alles im Zusammenhang mit Bauwesen interessiert, zum Beispiel für die fahrlässige Tötung durch Fehler des Bauführers.»

Prüfungsstress mit eigenem Enkel

Der Betreuungsaufwand für ältere Studierende ist oft gross. «Senioren haben in der Regel mehr Zeit als jüngere Studierende und können entsprechend ein grösseres Bedürfnis zur Kommunikation entwickeln», berichtet die Professorin Mireille Schnyder vom Deutschen Seminar. Sie hält jedoch fest, dass es natürlich auch sehr viele andere Senioren gäbe, die sich als bereichernde Mitstudierende in die Studierendenschaft eingliederten. Und eines haben alle Generationen sowieso gemeinsam: Prüfungsängste plagen sie alle. Einmal gestand ein älterer Philosophie-Student seiner Professorin Katia Saporiti, dass er mit seinem Enkel auf die Prüfungen gelernt und nun furchtbare Angst habe, durchzufallen und sich vor ihm zu blamieren.