Orientierung in Lateinamerika: Ohne Lonely-Planet gehts nicht. Mirko Hofmann

Einsamer Planet? Von wegen!

Alle Rucksackreisenden haben ihn dabei, den Lonely Planet. Doch der Reiseführer wird zunehmend ein Opfer des eigenen Erfolgs und zerstört seine Ideale.

15. September 2008

Costa Ricas Hauptstadt San José ist Ausgangspunkt für Reisen in den Dschungel, zu einsamen Stränden, zu tosenden Wasserfällen und allem anderen, was die «Schweiz Mittelamerikas» bietet. Da sich der echte Backpacker auf seinen Reisen einfach treiben lässt, checkt er unvorbereitet in einem Mehrbettzimmer in San José ein, für eine, vielleicht zwei Nächte. Und dann?

Lonely Planet weiss Rat. Ein Blick in den Reiseführer führt zu den schönsten Orten des Landes, wo preiswerte Hostels und trendige Bars warten – und (noch) keine Touristenströme. Auf gehts also nach Montezuma, Tamarindo oder Dominical, einsame, idyllische Dörfer mit wunderschönen Stränden. Dort angekommen macht sich leise Enttäuschung breit. Das beste und günstigste Hotel ist bereits voll und am Strand wimmelt es von Backpackern, welche die gleiche Idee hatten. Tamarindo ist längst zu Tama-Gringo geworden. Und so ergeht es dem Reisenden immer wieder, während der ganzen Reise durch Mittelamerika. Die gleichen Leute trifft man zwei, manchmal dreimal, meistens dort, wo einem der Lonely Planet sagt, dass dieser Ort vor Jungfräulichkeit geradezu strotzt.

Wo kauft man Hanf

Der erste Lonely Planet konnte seine Versprechen noch halten. In ihrem selbstgedruckten Büchlein «Across Asia on the Cheap», beschrieben die Gründer Tony und Maureen Wheeler ihren Backpacking-Trip durch Zentralasien. Es folgte «South-East Asia on a shoestring»; das Buch ist noch heute, 35 Jahre nach dem Erscheinen, ein Bestseller. 1981 erschien der Lonely Planet «India», mit dem das Gründerpaar den grossen Durchbruch schaffte. Heute arbeiten 400 Mitarbeiter und ca. 150 unabhängige Autoren für den Verlag. Fanden Backpacker im Führer «Africa on a shoestring» früher Tipps, wie man Cannabis erwerben kann, zielen die heutigen Reiseführer auf ein Massenpublikum ab. Der laienhaft-familiäre Stil ist verschwunden. Die Bücher sollen in allen Kulturkreisen nutzbar sein und sind in über 15 Spachen erhältlich. Sie verkaufen sich millionenfach (650 Titel, 55 Millionen Gesamtauflage) in aller Herren Länder. Entsprechend steuern Reisende die immergleichen Orte, Hotels und Attraktionen an.

Mit dem phänomenalen Erfolg kam auch die Kritik. Der Vorwurf, Lonely Planet stelle ethnische Minderheiten in Entwicklungsländern als Attraktionen dar, ist nicht unberechtigt. Dass Reiseführer über Myanmar (Burma) Lesern ein unter Militärherrschaft stehendes Land als Reiseziel schmackhaft machen, ist ebenfalls ein berechtigter Kritikpunkt. Zudem gestand der Autor des Kolumbien-Reiseführers dieses Jahr, kolumbianische Erde gar nie betreten zu haben. Ein Eindruck, den regelmässige LP-User nicht nur in Kolumbien manchmal ereilt. In Thailand gehen Gerüchte um, dass ein Autor für wohlwollende Einträge zu Hostels Geld einkassiert hat. Kein Wunder, denn wer im Lonely Planet steht, zu dem kommen die Gäste.

Partys statt Einsamkeit

Warum dann der Erfolg? Alternativen zum Lonley Planet sind oft Mangelware. Andere Reiseführer, wie etwa der vergleichbare «Rough Guide» bieten meist teurere Varianten und weniger präzise Informationen an. Zudem sind heutige Backpacker oft einfach Reisende, die bequeme Übernachtungsmöglichkeiten suchen, Spass haben wollen und ein entsprechendes Budget mitbringen. Einsamkeit, Geheimtipp oder Einmaligkeit ihrer Reise stehen oft gar nicht mehr zuoberst auf der Prioritätenliste.

Und manchmal bleibt er einfach unverzichtbar. Wie sonst ist zu erklären, dass in Südamerika Backpacker den einsamen Planeten gleich kiloweise mittragen: für jedes Land ein eigenes Buch.

Ein Buch voller Mythen?

Der Lonely Planet ist also kein verlässlicher Partner für die ultimativen Abenteuer auf dem Selbstfindungstrip in der grossen weiten Welt. Viel Erfolg verdankt Lonely Planet den Mythen, die sich um ihn ranken. Das beginnt schon mit der Namensgebung. Einer der Gründer verstand in einem Song von Joe Cocker eine Zeile falsch und hörte anstelle von «lovely planet» nämlich «lonely planet». Der Einsamkeit suggerierende Name entstand also nur durch Zufall.