Duell: Pyjama

«Ich esse ausschliesslich in der Mensa. Macht mich das krank?»

Sabina Galbiati (Pro) und Steven Goodman (Kontra)
15. September 2008

Maximilian Bircher weiss Rat:

Dafür

Ich sitze am Laptop, schreibe diesen Text und trage keine Unterwäsche. Dieser Zustand ist himmlisch und ich verdanke ihn meinem leichten und luftigen Pyjama. Er war meine letzte bedeutende Investition, ein Traum aus Seide.

Die meisten Menschen der westlichen Gesellschaft setzen sich bekanntlich gegen den Pyjama vehement zur Wehr, indem sie schlicht keinen tragen. Das liegt daran, dass sie als Teenager versucht haben, sogar im Bett, als niemand sie sehen konnte, cool zu sein, indem sie ein altes, viel zu grosses T-Shirt trugen. Darauf abgebildet war die vergangene Lieblingsband, was zu meiner Zeit also die Kelly Family, Guns N’ Roses, die Prinzen und andere Musikverbrecher waren. Eine Horrorvorstellung. Als wäre dies nicht genug Marter, stank das T-Shirt dann immer nach dem berühmt-berüchtigten «Schlaf». Wehe, wenn dann eine lächerliche Pyjamaparty auf dem Programm stand, bei der sich alle zum Idioten machten. Das führte bei den meisten Menschen zu einem Alp-Trauma und einer tiefen Abneigung gegen Shirtpyjamas.

Aber die Zeiten sind vorbei, in denen man am Morgen vor den Spiegel stand und sich den Pyjama vom Leibe reissen musste, damit man sein Spiegelbild ertragen konnte. Vorbei die Zeiten, als man mit Nasenklammer unter die Dusche rannte und das Schlafzimmer mit Lufterfrischer einsprayte. Heute zählt die Pyjamamode fast schon zu den Luxusgütern und ist vor allem jenen vorbehalten, die Luxus zwar mögen, aber ihn nicht zur Schau stellen. Pyjamas werden nur noch aus

edlen und bequemen Stoffen gemacht. Resultat eines hochwertigen Pyjamas ist der gesunde Schlaf und ein angenehmeres Leben, das haben auch Jessica Alba, Heidi Klum oder Seal bestätigt.

Doch auch ärmere Bevölkerungsschichten haben das angenehme Leben für sich entdeckt. In Pekings Altstadt beispielsweise ist es gang und gäbe, in Pyjama und Pantoffeln zu den öffentlichen Toiletten zu gehen. Was bei uns das Kaffeekränzchen ist, ist in Peking der Pyjamatreff auf der Gasse.

Und sogar deutsche Politiker kannten einst die Vorzüge des Pyjamas. Daher trafen sie sich zur Pyjamakonferenz. Das Ergebnis: der Vertrag von Rapallo vom 16. April 1922, der die Beziehung zwischen dem Deutschen Reich und dem kommunistischen Russland normalisierte, mindestens für eine gewisse Zeit. Ich persönlich habe der Tagesmode mit ihrer Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit längst abgeschworen. Ich trage nur noch, was bequem ist, und am liebsten meine Pyjamas.

Dagegen

Der Schlafanzug wurde im 18. und 19. Jahrhundert von den Briten in den asiatischen Kolonien entdeckt. Rasch verbreitete sich dieses bequeme Kleidungsstück für Herren in Europa und Nordamerika. So konnte man abends die von der Arbeit und den Strassen schmutzigen, stinkenden Kleider ausziehen und fror sich in seiner schlecht isolierten Behausung nicht gleich den Allerwertesten ab. Dank den angenähten Füssen wurde man im Schlaf auch nicht mehr von Ratten angeknabbert.

In tropischen Ländern bietet der Schlafanzug zudem Schutz vor Insektenstichen, Filzläusen und anderem Ungeziefer, es ist in einigen asiatischen Ländern (China, Vietnam) gebräuchlich, nach Sonnenuntergang im Pyjama vor seinem Haus am Strassenrand zu sitzen und mit den Nachbarn zu plaudern.

Es gibt also durchaus Gründe, in bestimmten Kultur- und Klimaregionen auf den Schlafanzug zu setzen. Doch wer in einer schön isolierten Wohnung – ohne Ratten und Läuse – lebt, sollte sich ein wenig mehr um Stil kümmern! Trotzdem ist es auch heute noch verständlich, dass man nach der Arbeit seinen Anzug ausziehen will. Nur zu, es gibt Freizeitbekleidung in unzähligen Variationen. Auch fürs Bett. Wichtig ist es aber, sich passend zu kleiden. Es gibt durchaus Kleider, die den wunderschönen Stunden des Schlafes weit mehr entsprechen als ein grässlicher Pyjama. Der Herr, der im Schlaf unter seiner flauschigen nordischen Daunendecke dennoch friert, ist ein Weichei! In kalten, einsamen Nächten sei ihm ein weisses T-Shirt aus feiner Baumwolle (ohne Aufdruck!) und ein Paar einfarbene Shorties nahe gelegt – sowie regelmässiges Waschen derselben.

Für die Dame des 21. Jahrhunderts gibt es gar noch ansprechendere Lösungen: Zahlreiche Designer von Tokyo über Paris, London, New York bis nach Sydney haben das grossmütterliche Nachthemd überarbeitet, ja gar neu erfunden. Die wunderbare Nachtwäsche von heute – passend zu Kerzenlicht und Chardonnay – ist zart streichelnd, fällt elegant und schmeichelt der Trägerin mit Farbe, Schnitt und Spitze. Und ist die Trägerin der Schmeicheleien gnädig, wird die Wäsche noch vor dem Einschlafen zu den tragenden Klängen von Morcheeba vom Traumprinzen sanft entfernt.

Entscheidend ist also angenehme, stimmungsvolle (Satin-)Bettwäsche!