«Die ersten vier Semester sind langweilig!»
Wo die wirklichen Herausforderungen liegen. Wie man sein Studium aktiv gestaltet. Ein Veteran antwortet.
Lieber Corsin, deine Bedenken sind verständlich. Ich will dir noch ein paar andere nahe legen. Bei deinem feuchtfröhlichen Party- und Ausschlafen-Lebensstil wird deine grösste Herausforderung sein, die Acht-Uhr Vorlesungen nicht zu verpassen. Diese sind nämlich sehr wichtig, um den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem deine Lernfähigkeit einsetzt. Die meisten Studierenden nehmen den Stoff erst ab ca. 9.36 Uhr auf.
Du fühltest dich an der Kantonsschule unterfordert – wahrscheinlich wird es dir auch an der Universität so ergehen. Weisst du, die ersten vier Semester sind in allen Fächern höchst langweilig. Du erhoffst dir Freiheit und Selbstverwirklichung, du wirst aber starre Lehrpläne, autokratische Übungsleiter, unmotivierte Kommilitonen und selbstherrliche Dozierende finden.
«Für das Leben lernst du!»
Chancengleichheit wird überall gefordert, an der Uni findest du sie; alle Studierenden machen den gleichen stumpfsinnigen Rundgang durch die Zentralbibliothek, werden auf total uninspirierte Weise gezwungen, die «Werkzeuge der Wissenschaftlichkeit» zu erlernen. Sie müssen ausserdem eine Reihe von Pflichtveranstaltungen besuchen, deren einziger Zweck ist, möglichst viele Leute aus dem Studiengang rauszuekeln. An meiner Kantonsschule stand am Eingang geschrieben: «Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernst du»: Halte dich unbedingt daran! Willst du deine Motivation nicht an der «Chancengleichheit» aufreiben, so musst du dein Studium aktiv gestalten.
Die Uni lebt von den Studierenden
Knüpfe Kontakt zu Höhersemestrigen, besorge dir mehrere «Gottis» und «Göttis», die dich inspirieren können (und deine Arbeiten gegenlesen). Lies Fachzeitschriften, Bücher und Wikipedia; suche Themen und Fragestellungen aus der Praxis, die dich interessieren. Frage deine Dozierenden nach ihrer Ansicht zu aktuellen Themen – versuch alles, um sie vom Lehrplan abzubringen: So wirst du viele gehaltvolle Gespräche erleben. In einem Einführungsseminar für Erstsemestrige vor einigen Jahren war ich mit sechs anderen Studis. Wir waren alles Nebenfächler, hatten gemeinsam schon etwa 70 Semester auf dem Buckel, dennoch wollte unser Dozent nochmals die Grundlagen der Wissenschaftlichkeit mit uns bearbeiten. Nach fünf Zwischenrufen und Ablenkungsmanövern waren wir im Bonnie Prince und diskutierten die Herkunft des Vampir-Mythos. Frei nach Humboldt: Die Universität ist kein Dienstleistungszentrum für Ausbildung, sondern lebt von den Studierenden, die sich mit dem Stoff und den Dozierenden auseinandersetzen. Kritisiere deine Kommilitonen, fordere immer wieder Qualität und Tiefgang. Studierende neigen dazu, in Referaten zu 95 Prozent zu wiederholen, was sowieso in der Pflichtlektüre stand. Unterbrich solcherlei Zeitverschwendung und verlange, dass sie etwas vortragen, das du noch nicht weisst. Bemühe dich selbst darum, deine Vorträge hervorragend zu machen, dann machen sie nämlich Spass.
Soft Skills sind gefragt
Ein Hochschulabschluss garantiert dir keine Stelle. Tausende haben einen Abschluss – was die HR-Verantwortlichen von heute aber suchen, sind «Persönlichkeiten». Deine «Unique Selling Proposition» ist die Art, wie du Probleme anpackst, das Netzwerk an Kontakten, das du über die Jahre aufbaust, und die Fertigkeiten, die du dir nebst dem Hauptfach angeeignet hast. Lerne Sprachen, mach ein Auslandsemester. Sammle praktische Erfahrungen in deiner Wunschbranche. Engagiere dich, vertiefe deine «Soft Skills». Das Umfeld der Uni bietet hierzu unzählige Möglichkeiten: Vom ASVZ über die Fachvereine, den StuRa, internationale Studierenden-Konferenzen, Studienreisen und Forschungsprojekte bis hin zur ZS.
Lerne auch, dich selbst einzuschätzen. Frage dich immer wieder, ob du wirklich das machst, was du dir vorgenommen hast. Setz dir Ziele und überprüfe sie – gib dich nicht mit Mittelmass zufrieden!