Die Pilates-Übung «Streck das Bein» macht dem Gast mehr Mühe, als ihm lieb sein kann. Maurizio Gaffuri

Alle (Frauen) lieben Pilates

Sich anstrengen, aber nicht schwitzen. Die Muskeln trainieren, aber nur die kleinen. Wer kann sich darunter etwas vorstellen? Der Autor hat mitgeturnt.

15. September 2008

Ich sags gleich vorneweg: Geschwitzt habe ich, und wie! Mich angestrengt sowieso, so gut es halt ging. Und erzählt mir nichts von den Muskeln, die wollen sich nicht mehr entspannen. Natürlich tat ich mir diese Schmerzen nicht grundlos an. Pilates tut meinem Rücken gut. Das zumindest liess ich mir von meinem Arzt berichten. Aber nicht nur Mediziner schwärmen von der Methode, die vor 90 Jahren von einem Berufsboxer (!) erfunden wurde. Das Wundertraining ist auch bei Sportmuffeln und Bürohengsten beliebt. Weshalb? Es tut gut. Nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele. Trotzdem oder gerade deswegen hält sich das Gerücht, dass Pilates ein Sport für Frauen sei. Über solche Klischees sehe ich hinweg. Warum sollen nicht auch Männer Pilates machen können?

Das Können macht mir sowieso nicht allzu grosse Sorgen. Sich 50 Minuten mal strecken, mal beugen und dazu tief atmen, nein, das würde mich noch lange nicht aus dem Ruder bringen. Was mir schon eher Sorge bereitet: Männer, die etwas auf sich halten, machen Bizeps- und Trizepstraining, aber sicher kein Pilates. Das bekomme ich dann auch eindrücklich zu spüren, als ich an diesem Sonntagmittag vor der Glastüre zum Foyer an der Polyterrasse warte. Um mich herum stehen 25 Frauen zum Training bereit. Ein einziger Geschlechtsgenosse gesellt sich später dazu. Das Geschlechter-Ungleichgewicht ist aber gar nicht so schlimm, wie sich später herausstellen wird. Denn während des Trainings starrt man sowieso nur an die Decke. Was nichts anderes heisst, als dass die mich gar nicht schräg ansehen können und ich nicht sehen kann, ob sie mich schräg ansehen. Alles klar? Doch eines nach dem andern.

Das perfekte Pilates-Wetter

Es ist also Sonntag, als ich mich für meine erste Pilates-Lektion bereit mache. Am Abend zuvor hat mich die Freundin meines Mitbewohners noch gebrieft. Das Power-House und die Hundestellung können mir keine Angst mehr machen. Ich fühle mich bereit. Draussen regnet es, als ich das Haus verlasse. «Es ist Pilates-Wetter», versucht mich jene Freundin aufzumuntern. Von ihr weiss ich auch, dass Pilates scheinbar wochenlange Bauchschmerzen verursacht und dass die Übungen zwar streng sind aber man dabei nicht schwitzt. Was soll das denn für ein Sport sein?

Das Foyer wirkt nur dank der einen Glaswand in Richtung Turnhalle nicht düster. Erst schwenken wir mit angewinkelten Knien die Arme hin und her. Sie oben am Kopf zu kreuzen, ist gar nicht so einfach. Auf einer Matte spannen wir uns dann zum ersten Mal zur Grundposition zusammen. Wir machen einige Bewegungen, hin und her, vor und zurück. Gerade als ich denke «Wow, ist das streng» verkündet unsere Trainingsleiterin: «Jetzt kommt die letzte Aufwärmübung.» Das kann ja heiter werden. Schon zu diesem Zeitpunkt schwitze ich so stark, dass mir die Matte, auf der ich liege, leid tut. Warum wohl bei mir die Tropfen so übermässig runterlaufen? Männer schwitzen halt mehr, sage ich mir. Obs stimmt? Keine Ahnung. Hauptsache nicht eingestehen, dass mich die Übungen mehr anstrengen als meine Trainingskameradinnen.

Der Ärger mit den Beinen

Von da an liegen wir nur noch auf dem Rücken. Der Nachteil daran ist, dass ich nicht mehr nach vorne sehen kann und damit nie weiss, ob ich die Bewegung richtig mache. Und die kontrollierte Ausführung sei ja einer der wichtigsten Grundsätze beim Pilates. Ich bin also auf mich alleine gestellt. Das ist ok. Denn ich kann ja die Anweisungen der Leiterin hören. Nur wenn es mir mal wieder so vorkommt, als ob die geforderte Bewegung rein anatomisch unmöglich ist, drehe ich mich zur Seite und gucke bei der Nachbarin ab. Und muss jeweils schnell einsehen, dass so ein gestrecktes Bein in der Luft ganz schön Ärger machen kann. Vor allem, wenn das andere auch in den Lüften schwebt und zittert wie verrückt. Die Atmung ist wichtig beim Pilates. Das hört man von einigen Teilnehmerinnen demonstrativ. Sie ziehen sich die Luft rein und pusten sie lautstark heraus. Ich persönlich finde es schwierig, die Atmung im Tempo der Bewegungen zu kontrollieren. Weil wir die Übung nur langsam ausführen, darf man nicht zu schnell atmen. Also versuche ich, das Ausatmen möglichst lange herauszuzögern. Doch schnell wird mir klar: Ich brauche eine neue Ladung Luft. Und gönne sie mir.

Schwitzen im Päckli

Vom Rücken wechseln wir auf die Knie und stützen uns vorne mit den Armen ab – die Hundestellung! Den Rücken sollen wir nach unten drücken, ohne dass sich Arme und Kopf bewegen. Kein Problem! Einige Beugungen und Streckungen später liegen wir wieder auf dem Rücken. Wir rollen im Päckli vor- und zurück. Es ist streng, aber machbar. Mehr Probleme bereitet mir, dass ich meine Beine kaum fassen kann – sie sind vom Schweiss klatschnass und damit ungreifbar geworden.

Das Schlimmste kommt zum Schluss. Eine Seitwärtsübung mit Strecken und Zerren und Schmerzen und allem was dazu gehört. «Nie eine Übung machen ohne die Spannung. Besser für sich pausieren», wurde uns zu Beginn gesagt. Das nehme ich nun gerne wörtlich. Als die 50-minütige Plage dann vorbei ist und ich mit meiner Pilates-Tasche das Gebäude verlasse, regnet es noch immer. Ich weiss: Verpasst habe ich hier draussen nichts.