Samuel Nussbaum

Ach du studierst Kunstgeschichte?

Du studierst Kunstgeschichte? Unser Autor schliesst vom Studiengang auf den Charakter.

15. September 2008

Den distinguierten Blick, den hast du deinem Vater abgeschaut. Der ist sein Hauptkapital – schliesslich klebt Papi im Verwaltungsrat irgendeiner Finanzfirma und tourt hauptberuflich durch Galerien junger Künstler, mit deren Werken er dann auf dem Kunstmarkt spekuliert.

Den bedachten Kleidungsstil, irgendwie akademisch dezent und doch etwas künstlermässig flippig, den hat dir deine Mutter angelernt. So muss sie aussehen, schliesslich ist sie Galeristin in einer renommierten Kunsthandlung im Zürcher Oberdorf.

Das Metier wurde dir in die Wiege gelegt. Aber du glaubst natürlich, du hättest dich selbst für das Studium entschieden. Und schliesslich sitzt du nicht auf dem – zugegebenermassen reichlich vorhandenen – Geld deiner Eltern. Du krüppelst neben den vier Wochenlektionen an der Uni zwölf Stunden in der Woche für 60 Franken in der Stunde als Katalogautor in einem bekannten Auktionshaus. Das Geschäft gehört zwar einem Freund deines Vaters, aber du hast den Job sicher nur bekommen, weil du gut bist. Den Rest der Zeit verbringst du vor dich hin sinnierend im Löwenbräu-Areal, kunsttheoriephrasendreschend an Vernissagen von Jungdesignern oder damit, den Drogenkater von der gestrigen Performance-Art-Party wegzudösen.

Du weisst noch nicht genau, wie lange dein Studium sein wird, denn schliesslich gönnst du dir noch mindestens zwei Austauschsemester in Paris und London. Nach den 15 bis 19 Semestern gehst du erstmals auf Achse. Für das Lizenziat hat dir dein Vater nämlich eine Weltreise versprochen.

Was danach kommt, darüber machst du dir keine grossen Gedanken. Irgendwie hoffst du auf eine Karriere im Kunstmarkt. Modell steht dein Vater: Wenig arbeiten, viele flippige Vernissagen besuchen, ein paar Kunsthändel einfädeln und dabei gut Kohle verdienen. Und wenns nicht klappt mit der gros-sen Kunst und dem grossen Geld – dann wartet auf dich immer noch das grosse Familienerbe.

Stimmts? Der Fachverein Kunstgeschichte antwortet:

Die Gründe, Kunstgeschichte zu studieren sind so vielfältig, wie die Kunst selbst. Mit der Definition der typischen Kunstgeschichts-Studierenden verhält es sich genauso schwierig wie mit der Frage, was genau Kunst ausmacht. Gut, vielleicht hat es einige unter uns, die insgeheim die Kunst, Kunst zu verkaufen, spannender finden als die Kunst selbst. Doch wie schon der Name «Kunst-Geschichte» andeutet, besteht unser Fach nicht nur aus Kunst, sondern aus einem fast ebenso grossen Teil Geschichte.

Um diese kennenzulernen, wälzen wir Bücher und besuchen Bibliotheken – weit häufiger als Vernissagen. Neben dem Studium versuchen die Kunstgeschichts-Studierenden einen der raren, meist unbezahlten Praktikumsplätze zu ergattern. Oft bleibt uns nur langweilige Kopier- und Scanarbeit in irgendeiner, nicht so coolen Gallerie.

Klar, wir verbinden Nützliches mit Angenehmem. Auf unzähligen Ausstellungen und Vernissagen erweitern wir unseren Horizont. Auf ausgedehnten Reisen lernen wir andere Kulturen kennen und stellen dabei fest, dass Kunst nicht losgelöst vom Leben der Menschen betrachtet werden kann. Kunstgeschichts-Studierende sind in der Regel Menschen, die ihrer Leidenschaft nachgehen und sich von einer beruflich ungewissen Zukunft nicht verunsichern lassen. Und alle haben dabei eine andere Vorstellung von Kunst.

Laura Zaugg, FV Kunstgeschichte