Ausgerüstet mit 3D-Brille gilt es, virtuelle Penaltys von Benjamin Huggel zu parieren. Lukas Messmer

Magenbälle und virtuelle Penaltywelten

Jetzt soll Fussball nicht mehr nur Spiel oder Ersatzreligion, sondern auch Wissenschaft sein. Das zumindest verspricht das zur EM statt findende «Zurich Football Forum».

19. Mai 2008

Einige haben es schon immer gesagt: Fussball ist kein einfaches Spiel, sondern komplexe Wissenschaft. Der runde Ball wird nämlich auch von Akademikern nicht links liegen gelassen. Kurz vor der EM organisiert die Universität Zürich das «Zurich Football Forum» (4. bis 6. Juni), welches der Öffentlichkeit Aufschluss geben soll, was in den Elfenbeintürmen zum Ballsport geforscht wird.

Die Universität will mit ihrem 175-Jahre-Jubiläum ihre Nähe zum Volk demonstrieren. «Die Leute sind nahe beim Fussball», weiss Projektleiter Egon Franck. Der Wirtschaftsprofessor und zukünftige Prorektor machte sich mit Hilfe einer Forschungsdatenbank auf die Suche nach Wissenschaftlern, die sich an der Uni Zürich mit dem Phänomen des Fussballs beschäftigen. Er selber befasst sich seit Jahren mit der Ökonomie des Sports. Von ihm und Professor Helmut Dietl stammt beispielsweise die These, dass eine Fussballmannschaft aus ökonomischen Gesichtspunkten zwar erfolgreich, aber nicht zu erfolgreich sein dürfe. Denn ohne Spannung in der Meisterschaft gibt es keine Zuschauer – und damit auch kein Geld. Franck fand Forscherkollegen aus diversen anderen Bereichen. Der Kunsthistoriker Helmut Brinker etwa berichtet, dass ursprünglich die Chinesen, und nicht etwa die Engländer den Fussball erfanden. Schon vor 2000 Jahren wurde in Asien gekickt. Von Fair-Play konnte aus heutiger Sicht aber noch keine Rede sein: Als Ball diente der zum Rund verarbeitete Magen eines getöteten Widersachers.

Heute sind Fragen des Fussballrechts etwas komplexer als bei den Chinesen. Unter dem Titel «Persönlichkeitsschutz versus Verbandsautonomie» wird am Fussballforum unter der Leitung von Rechtsprofessorin Claire Huguenin auch über aktuelle Rechtsfragen im Fussballgeschäft diskutiert. Was darunter zu verstehen ist? Beispielsweise die Ungerechtigkeit, welche der walisische Nationalspieler Ryan Giggs erfährt. Der Weltklassespieler vom Klub Manchester United könnte geltend machen, dass ihm das Recht auf freie wirtschaftliche Entfaltung genommen wird. Weil er für ein fussballerisch unbedeutendes Land spielt, ist es ihm unmöglich, sich am lukrativen Jackpot der von der UEFA organisierten EM zu beteiligen. Trotz Giggs’ Spielstärke konnte sich Wales nicht für die Endrunde qualifizieren.

Die Fussball-Saga Helmut Kohl

Publizist Holger Schramm weiss noch nicht, worüber er am Forum referieren wird. Forschung über Fussball wird aber auch in seinem Fachgebiet betrieben. Er illustriert dies an einem Beispiel aus seinem Heimatland Deutschland: Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl pflegte ein sehr gutes Verhältnis mit dem damaligen Fussball-Nationaltrainer Berti Vogts. Von den gemeinsamen Auftritten in den Medien proftitierten beide. Bis Favorit Deutschland 1998 an der WM im Viertelfinale gegen Kroatien spielte – und 0:3 verlor. Berti Vogts trat zurück. An diesem Tag fielen Helmut Kohls Beliebtheitswerte um rund zehn Prozentpunkte. Sechs Wochen später stand im Bundestag die Kanzlerwahl an – und Kohl wurde nicht wiedergewählt.

Mediengerecht aufbereitet

Unter dem Slogan «Catch me if you can» kann am Forum zudem ein virtueller Elfmeter-Simulator getestet werden, der in Zukunft als modernes Trainingsgerät für Torhüter dienen soll. «Damit kann man verstehen, wie und wann der Goalie auf einen Elfmeter reagiert. Ausserdem kann durch die Sound-Anlage auch die Beeinflussung durch das Publikum getestet werden», wie der verantwortliche ETH-Professor Robert Riener sagt. Von einer dreiseitigen Panorama-leinwand schiesst Nati-Spieler Benjamin Huggel einen virtuellen Ball auf den mit einer 3D-Brille ausgestatteten Goalie.

Abgerundet wird das Programm durch ein mathematisches Intermezzo («Wie wird der Ball wirklich rund?»). Und für die Medien? «Am Anfang und am Ende etwas Prominenz» sei dem Medieninteresse förderlich, fand Franck. Und lud FIFA-Chef Joseph Blatter und Stapi Elmar Ledergeber zur Eröffnungsfeier ein. Unterdessen liess auch «10 vor 10» schon Jörg Stiel im virtuellen Elfmeterlabor springen.

Programm: http://www.175jahre.uzh.ch/veranstaltungen/football-forum.html