Canal St. Martin. PD

Im Sommer kreuchts und fleuchts

An der EM führt diesen Sommer kein Weg vorbei. Doch ist dieser Fussballzirkus wirklich so toll? Ein nüchtern-ironisches EM-Märchen.

19. Mai 2008

Der Sommer ist da. Ach, wie ist es schön, nicht mehr in der Nacht zu frieren und am Morgen breit ausgedehnt auf der Matratze mit der unter die Füsse geschobenen Decke zu erwachen. Die Leute trauen sich wieder auf die Strasse zu gehen, gelassen durchs Marais zu schlendern und ab und an einen Halt für einen erfrischenden Cidre einzulegen.

Es scheint, als ob in der Wärme auch die Verrückten wieder aus ihren Schlupflöchern gekrochen kommen. Ihr kennt vielleicht das ältere Pärchen in Zürich, das sich mindestens einmal die Woche herausputzt und sich dann an sämtliche Uni-Apéros macht, oder den verwirrten Typen, der wohl am Tourette-Syndrom leidet und über die Studierenden, die Stadt, die Hitze, den Fussball flucht. Solche Leute gibt es auch an der Sorbonne. Hier der ältere Herr, der mit seinem abgewetzten Baumwollgilet durch die Bibliotheksgänge schleicht, wahllos Bücher aus dem Regal holt, ganz nachdenklich die Stirn runzelt, ein tiefes Brummen von sich gibt und weiter schlurft. Oder das Alki-Pärchen das sich schon morgens um neun mit billigstem Pinard die Rübe füllt und Verschwörungstheorien über De Gaulle und Chirac verkündet.

Der Sommer ist ja auch ein guter alter Freund von mir. Aber selbst die besten Freunde können einem auch mal auf den Sack gehen. So ist es mir am letzten Sonntag ergangen, als er den ganzen Tag bei mir in der Wohnung rumhing, die Luft irgendwann zu dick wurde und mich fast zum Kochen brachte. Einfach raus. Canal St. Martin wäre doch ein gemütlicher Ort, um die Birne abzukühlen. Und da glaubte ich mich plötzlich wieder in Zürich: Die schwangeren Frauen, die sich noch letztes Jahr in der Bäckeranlage beim Gazosa-Schlürfen getroffen haben, scheinen alle hier zu sein.

Ich und die Schwangeren sind nicht die Einzigen, die mal raus aus der Hütte müssen. Anderem Getier gehts ebenso. In Paris kommen auf jeden Einwohner vier Ratten, das macht also rund 30 Millionen bis zu 30 Zentimeter grosse Viecher, die sich unter der Stadt tummeln. Und als ich eines Abends das Spülmittel unterm Spülbecken hervor nehmen will, sehe ich das graue Ding. Raaatteee! Nein, ein winzig kleines Mäuschen. Die halbe Wohnung habe ich auf den Kopf gestellt und noch immer nichts gefunden. Eine Falle muss her, aber keine martialische, die sie guillotiniert. Rattengift! «Damit sie irgendwo in einer Ecke verfault und die Hütte vollstinkt?!», fürchtet der Mitbewohner. Ich hab jetzt seit fast zwei Wochen so einen hässlichen

Für-Gutmenschen-nichttötenden-Mäusefallen-Käfig in der Küche stehen, aber nix ist passiert.Und als ich wieder gemütlich ins Bett steige, sehe ich eine Ameisenstrasse sich in Richtung Kissen bewegen.