Ein eloquenter Gesprächspartner: Noch-Uni-Rektor Hans Weder. Lukas Messmer

Eine letzte Audienz

Hans Weder über die Studierenden von heute, runde Tische, Bologna und Notausgänge. Ein Gespräch mit dem abtretenden Rektor der Uni Zürich.

19. Mai 2008

Als eifriger ZS-Leser hat sich Hans Weder sofort bereit erklärt, uns zu empfangen. Deshalb stehen wir an einem schönen Sommermorgen in aller Herrgottsfrüh vor der massiven, aber hinterhältigen Holztür des feudalen Rektoratsgebäudes. Nur Geistesgegenwart und beherztes Eingreifen seines Kollegen retten unseren Fotografen vor dem Zerquetschtwerden. Wohlauf vor dem leeren Büro des Herrn Weder angelangt, machen wir es uns bequem. Kaum haben wir genügend Stühle herbeigeschleppt, taucht er auch schon auf, angetan mit Uni-Krawatte und angesichts der frühen Stunde beinahe unverschämt wach.

Herr Weder, das Unijubiläum hat 12 Millionen Franken gekostet. Das ist wohl das teuerste Geschenk, das sich je ein Rektor zum Abschied gemacht hat? — Halt, es hat nur knapp 9 Millionen gekostet. Die Unileitung hat 17 Millionen von externen Geldgebern hereingeholt, wobei ich einen grossen Teil der Gespräche selber führte. Das ergibt einen Saldo von 8 Millionen. Man könnte also auch sagen, es sei ein schönes Abschiedsgeschenk vom Rektor an die Uni.

Auch bei 9 Millionen sind 100’000 Franken für den studentischen Anteil am Jubiläum, das Projekt «Zweitwissen», nicht gerade viel. — Wären mehr studentische Projekte eingegangen, hätten wir versucht, diese zu unterstützen. Es gab keine Absicht, nur wenig zu finanzieren. Ausserdem waren in vielen anderen Projekten ja auch Studierende involviert.

Sie waren an den Veranstaltungen sehr präsent. Fanden Sie auch den Draht zur Bevölkerung? — Sicher, ich bin ab und zu im Tram angesprochen worden. Die Leute haben mich auf Fotos gesehen und sich gesagt, jetzt muss ich den doch mal ansprechen. Ich habe vor allem positives Feedback erhalten, gerade hat ein mir unbekannter Herr eine Schachtel Postkarten vom Unitram geschickt.

Nicht nur die Uni, auch die 68er feiern zurzeit ein Jubiläum. Damals haben Sie in Zürich Theologie studiert. Sind Sie auch auf die Barrikaden gegangen? — Ich sass damals im Grossen Studentenrat (Vorläufer des StuRa, Anm. d. Red.). In einer Partei oder bei der revolutionär-marxistischen Liga war ich nie.

Aber grundsätzlich haben Sie schon sympathisiert mit den 68ern? — Auf jeden Fall. Wir haben damals mitbestimmte Seminare organisiert, in denen eine studentische Gruppe mit dem Assistenten und Professor zusammen die Stunde geplant hat.

Und am Abend haben Sie in den ersten WGs gefeiert? — Nein, das kam etwas später. Die erste WG wurde von Berliner Studenten in einem alten Pfarrhaus in Schwamendingen gegründet. Sie waren ebenfalls in diesen mitbestimmten Seminaren. Eines davon war von 10–12, die Mitbestimmungsstunde war von 9–10 Uhr. Die Leute aus der WG verschliefen diese Stunde aber immer! Um 10 Uhr kamen sie dann jeweils und wollten das ganze Seminar umkrempeln.

Wie unterscheiden wir uns von unseren Vorgängern? — Nicht gross. Die 68er waren grundsatzorientierter. Die neue Generation hat ein sehr feines Gefühl für Substanz, stellt hohe Ansprüche und studiert zielgerichteter. Das hat aber auch mit den ständigen Prüfungen zu tun, wir hatten etwas mehr Freiheit.

Wo fühlen Sie den Puls der heutigen Studierenden? — In erster Linie in den Gremien, in denen Vertreter des StuRa sitzen. Dort finden die Studierenden Gehör. Ohne diese Zusammenarbeit könnte die Uni überhaupt nicht funktionieren, umso mehr da es heute pragmatisch zu und her geht. Früher hatte jeder Professor das Gefühl, die Studierenden seien gegen ihn und umgekehrt. Deshalb würde ich wünschen, dass Zürich wieder eine verfasste Studentenschaft bekommt.

Was bekommen Sie von den «normalen» Studierenden mit? Essen Sie manchmal in der Mensa? — Selbstverständlich, ich esse dort häufig einen Salatteller. Da hört man die Studierenden miteinander reden, direkt angesprochen werde ich aber so gut wie nie. Ich lese natürlich die Studierendenzeitschriften.

Das freut uns natürlich sehr. Wir möchten aber – in der Hoffnung, dass vielleicht er der ZS etwas Geld zusprechen könnte – noch etwas über die Machtverhältnisse an der Uni wissen.

Haben Sie eigentlich viel Macht als Rektor? — Man hat schon Macht und nach dem neuen Universitätsgesetz hat der Rektor jede Menge Weisungsrechte. Bei der Evaluation der Unileitung wurde mir vorgeworfen, dass ich zu wenig davon Gebrauch mache. Einmal habe ich aber wirklich einfach eingreifen müssen. Denn eines Morgens standen plötzlich riesige Tische im Lichthof, die überhaupt nicht passten. Ich war aufgebracht und verfügte, dass wieder die kleinen runden Tische aufgestellt werden.

Leider nichts gewesen, Weder hat die Frage elegant mit einer Anekdote pariert. Da wir uns nicht für die Form von Tischen interessieren, sprechen wir die Bologna-Reform an.

Sie sind der letzte Rektor, der noch mit Studierenden arbeitete. Ihr Nachfolger wird wohl nur noch mit Punkte sammelnden, von Bologna eingeschüchterten Schülern und Schülerinnen zu tun haben. — Nun, ich glaube nicht, dass die sich gross einschüchtern lassen. Man muss aber aufpassen, dass die Verschulung nicht zu sehr Einzug hält. In den nächsten zehn Jahren muss man Bologna sicher optimieren.

Bringt die Optimierung auch eine Selektion mit sich? Wer soll den Master in Zürich künftig machen können? — Jeder, der möchte. Das Problem wäre einfacher zu lösen, wenn jede Universität ihre Masterstudierenden selber auswählen könnte. Ich bin vor allem auf Doktoratsstufe für erhebliche Selektivität.

Ist die allgemeine Unikultur nicht zu wenig auf die Förderung von begabten Studierenden ausgerichtet? — Ja, man sollte an dieser Kultur arbeiten. Es wird noch etwas zu wenig für die besten zehn Prozent gemacht. Allgemein sollte man Leistung viel mehr Anerkennung zollen. Wir vergeben inzwischen deshalb mehr Preise für herausragende Leistungen.

Da wir definitiv nicht zu den besten zehn Prozent der Studierenden gehören, verlassen wir dieses für uns eher ernüchternde Thema. Wir können es uns aber nicht verkneifen, den Rektor auf die Studiengebühren anzusprechen.

Vor einigen Wochen haben Sie mit der Aussage geschockt, dass die Studiengebühren ruhig 5000 Franken im Jahr betragen könnten. — Dazu stehe ich, sie kommen zu günstig weg. Mal ehrlich, 5000 Franken wären nicht Ihre grössten Kosten, wenn Sie studieren. Man müsste aber die Chancengleichheit wahren und ein Anleihesystem einführen, auf das alle Zugriff haben. Von der sozialen Gerechtigkeit her gäbe es aber sicher ein Optimierungspotenzial.

Darlehen sind für Sie aber ein gangbarer Weg? — Absolut. Ich finde es zumutbar, mit 25’000 Franken Schulden von der Universität abzugehen. Der Durchschnittsverdienst einer Phil-I-Abgängerin beträgt 78`000 Franken im ersten Jahr. Ein paar Prozent davon abzugeben, würde sie nicht umbringen.

Nun ja. Zum Schluss kommen wir nochmals auf angenehmere Dinge wie das Unifest zu sprechen. Nachdem Herr Weder die Arbeit der Kosta gelobt und es bedauert hat, dass nicht alle Studierenden eingeladen werden konnten, entsteht eine Pause. Erwartungsvoll blickt der Rektor uns an. Es braucht nur wenig Ermunterung, bis er mit der amüsanten Geschichte herausrückt, welche er mit hörbarer Routine und offenbar nicht zum ersten Mal erzählt. Der Betriebsdienst der Uni hatte Herrn Weder angeboten, ihn mitsamt Gattin nach dem Fest abzuholen. Zwischen den Weders und dem Treffpunkt befand sich aber eine undurchdringliche Menschenmasse. Der schnellste Weg ging durch den Notausgang. Doch der Sicherheitsmann, der diesen bewachte, wollte partout niemanden durchlassen. Da erschien wie aus dem Nichts ein Student, stiess die Tür auf und sagte: «He Mann, das ist unser Rektor, lassen Sie den jetzt gefälligst raus!»

Kann sich ein Rektor einen schöneren Abgang vorstellen?