Duell: Fussball

Dennis Gansel, 2008

Lisann Anders (Pro) und Luca Geisseler (Kontra)
19. Mai 2008

Dafür

Worin liegt er, der Zauber des Fussballs? Was ist das Faszinierende daran? Ist es nicht ein Sport wie jeder andere? Schon oft habe ich mir diese Frage gestellt, wenn ich mir mal wieder ein Spiel von Real Madrid reinzog. Wenn ich meine Kolleginnen frage, ob sie sich Fussballspiele im Fernsehen anschauen, kommt von den Meisten ein entschiedenes NEIN – die Erklärung ist eindeutig: Es geht doch nur um eine Herde wildgewordener Affen, die sich um einen Ball streiten. So viel zur Meinung der meist weiblichen Fussballhasser.

Was macht diesen Sport also so einzigartig? Was bedeutet der Sport für die beiden Geschlechterparteien wirklich? Für viele Männer ist dieser Sport ein Ausdruck ihrer Männlichkeit. Psychologen würden darin wahrscheinlich den Jagdinstinkt wieder finden – doch statt einem Büffel oder Mammut jagen die heutigen Neandertaler eben einem kleinen runden Ding hinterher. Wer den Ball hat und ins Tor trifft, wird von den anderen Neandertalern bewundert. Frauen verstehen meist den Sinn dahinter nicht.

Spätestens jetzt muss mit einigen Vorurteilen aufgeräumt werden: Auch viele Frauen fühlen sich zu diesem Sport hingezogen – ich zum Beispiel. Es hat fast schon etwas Anmutiges, wenn Fussballspieler über das Feld tanzen und ihre Kunststücke mit dem Lederteil vorführen. So gesehen klingt das schon fast wie ein Ballettstück, oder?

Ausserdem spiegelt Fussball doch irgendwie das Leben wieder: Einem wird etwas genommen (Gegner ergattert Ball), man besitzt etwas (Ball bei eigener Mannschaft) und man muss sich etwas erkämpfen (Tor!!!!). Eine elektrisierende Spannung (Elfmeter) herrscht genauso wie gemeine Täuschung (Schwalbe), Provokation und Gewalt (WM 2006 Fankreich vs. Italien), Trauer (verloren) und Freude (gewonnen). Klingt doch wie ein guter Spielfilm – sofern man Fernsehen beziehungsweise Kino mag. Zumindest könnte das Leben auch keine bessere Geschichte schreiben.

Und jetzt mal ehrlich, ihr Frauen da draussen: Das Schönste ist doch, wenn ein Tor geschossen wurde oder das Spiel vorbei ist und die Männer vor Freude ihre Trikots ausziehen; denn dann darf frau ungeniert und ohne schlechtes Gewissen einen Blick auf diese wahnsinnig durchtrainierten, muskulösen, schwitzenden Oberkörper werfen. Deshalb Mädels, wenn ihr euren Freund auf eure nächste Shoppingtour mitschleppen wollt oder sogar vorhabt, ihn ins Theater zu zerren, tut ihm einen Gefallen und schaut euch doch mal ein Fussballspiel an. Es lohnt sich garantiert!

Dagegen

Der Fussball ist tot. Verkauft, verfremdet und zu Markte getragen, seinem Ursprung entfernt. Die modernen Fussballer und Funktionäre haben ihn uns entrissen. Diese überbezahlten, satten und sattsam arroganten neuen Idole der Populärkultur, die längst jegliche Relation verloren haben. Kaum können sie auch nur gerade laufen, verdienen sie schon Millionen. In Hannover, Dortmund, London, Frankfurt und wo sie auch alle spielen.

Gewisse Nationalspieler (primär der Spieler, der so ostentativ von sich selbst in der dritten Person spricht – hat ja auch seit Cäsar niemand mehr gemacht) legen in jeden einzelnen Schritt so viel Arroganz, jeder Politiker wäre da längst abgewählt. Nur ist der Einzige, der diese Spieler abwählen könnte, nicht ganz Herr der Lage. Scheint doch nicht jeder zum Feldherrn geboren. Vor allem nicht zu Cäsaren auf den postmodernen Schlachtfeldern. Neben dem Feld, in den Hochglanzmagazinen und auf den Bildschirmen, da wimmelt es nur so von kleinen Kaisern. Aber kaum auf dem Feld, schrumpfen sie zu den elf Zwergen. So schnell werden aus Königen Bettler.

Der Countdown läuft – unerbittlich. Und wehe, niemand freut sich. Der Speaker fordert zum gemeinsamen Fähnleinschwingen auf. Nie war es einfacher, Farbe zu bekennen. Vorausgesetzt, man bekennt richtig.

Misstöne sind keine gefragt im kollektiven Taumel. Wie bei der ZS, die ihre beste Kolumne streicht, gibt es keine Widerrede. Ein Jahrhun-dertereignis sei es (ein Anlass der notabene alle vier Jahre stattfindet). Once in a lifetime, lautet der schöne neudeutsche Slogan.

Dabei wäre der Fussball eigentlich ein phantastisches Spiel, das sich in jedem Moment neu erfindet. Eine Verheissung. Alles scheint möglich, weil der Ausgang – wie auch im Leben – stets unvorhersehbar bleibt. Der Fussball als Faszinosum, das nur einen Ball benötigt. Und Freunde natürlich. Doch wer hat heutzutage noch Freunde? Ausser die Welt wäre gerade zu Gast.

Der Fussball reproduziert nur die vorherrschenden Werte und Geisteshaltungen. Einem Gesellschaftsspiegel gleich, der die Gesellschaft gleichsam demaskiert und denunziert. Ein Spiel hat sich verirrt – in den Wirrungen der Welt. Und mehr als nur seine Unschuld verloren.

Die Seele des Fussballs – geschändet und verkauft. Verhökert an den schnöden Mammon, geopfert unter der Guillotine der Egoismen von Funktionären, Betreuern und Spielern. Die Poesie des Spiels ist zu einer reinen Prosa der Ökonomie verkommen. Wie unsagbar schade. Eigentlich.