Wein aus Wien

Auf der ganzen Welt zuhause: Studierende auf Reisen schrieben der ZS, wo sie sich gerade rumtreiben und was sie dort machen.

10. April 2008

Der Wein steht seit Tagen auf dem Tisch, bereit, mir bei der Wahrheitssuche zu helfen. Der Wahrheit über Wien. Was macht Wien lebenswert?

Es sind nicht die grossen, massiven Bauten mit dem feinen Stuck. Keine Hofburg, kein Schloss, kein Rathaus, keine Oper lässt mich Zelte aufschlagen – ich bin schliesslich kein Architekt. Die Altbauwohnungen mit hohen Decken, Gasherd und Therme mag ich jedoch sehr.

Es sind nicht die zahlreichen Museen und Theater. Von den hohen Künsten habe ich so viel Ahnung, wie die grosse Koalition vom gemeinsamen Regieren – ich bin halt auch kein Kunsthistoriker. Gegen einen Besuch im Museumsquartier habe ich aber nie etwas einzuwenden.

Es sind nicht die pedantisch gepflegten Parkanlagen. Kein Froschbiss, kein Gnadenkraut und keine Schwertlilie kann mich dazu bewegen Wurzeln zu schlagen – ich bin kein Botaniker. Bei schönem Wetter einen Spaziergang im Park, ein Buch lesen auf einer Bank oder einfach das Grün geniessen, das lasse ich mir dennoch nur ungern nehmen. Es sind nicht die vierspurigen Einbahnstrassen, auf denen die Wiener Gemütlichkeit ihr ungeduldiges, hupendes und zur Raserei neigendes Gesicht zeigt – ich bin Velofahrer. Den Veloweg ignorieren, die Autofahrer brüskieren hingegen lässt mein Herz höher schlagen.

Wien ist ambivalent. Die Stadt präsentiert sich als die grosse, alte Dame. Man zollt ihr Respekt, weiss um ihr Leben, um ihre Vergangenheit. Gleichzeitig ist man über ihr junges Gemüt erstaunt. Unaufgeregt und lässig trägt sie ihre klassischen Kleider mit Stil und kombiniert das Ganze mit trendy Accessoires. Sie kann dir das Gefühl geben, von ihr geliebt zu werden, nur um dich im nächsten Augenblick mit verachtendem Blick spüren zu lassen, wie klein und unbedeutend du bist. Wien ist launisch. Wie das Leben.

*Sandro Quadri studiert Publizistik und macht derzeit ein Austauschjahr. Für die ZS schreibt er noch bis im Sommer die Kolumne «Brief aus Wien».