Duell: Gott

Auf der ganzen Welt zuhause: Studierende auf Reisen schrieben der ZS, wo sie sich gerade rumtreiben und was sie dort machen.

Joel Bedetti (Pro) und Andres Eberhard (Kontra)
10. April 2008

Dafür

Ob es ihn gibt, ist doch irgendwie schnurz. Über diese Frage haben sich schon genug Leute den Kopf zerbrochen. Logisch gesehen haben die Anhänger des fliegenden Spaghettimonsters natürlich recht. Man kann nicht annehmen, dass etwas existiert, ohne stichhaltige Indizien zu liefern. Doch darum geht’s nicht, der entscheidende Punkt liegt anderswo. Dumme Gläubige, und davon gibt’s nicht allzu wenige, glauben an Gott, weil sie denken, er höchstpersönlich habe die Bibel oder den Koran geschrieben. Sie schliessen sich zu seltsamen Vereinigungen zusammen und feiern obskure Rituale. Schlaue Gläubige glauben an Gott, weil sie wissen: Er ist das wirksamste Placebo der Menschheitsgeschichte. Doch so gross der Nutzen von Gott, so hoch ist der Preis. Salonfähig ist das Statement «Ich glaube» heute nicht gerade, vor allem nicht im akademischen Umfeld. Und wenn man sich dann noch unter politisch Linken bewegt, sinkt die Toleranzgrenze vollends auf den Nullpunkt. Hitzköpfige Ramboatheisten machen selbst tolerante Gläubige für so ziemlich alles verantwortlich, was auf der Welt schief läuft. Dabei prügeln sich die Erdenbewohner kaum je wirklich wegen Gott; meist sagen sie das nur, um nicht sagen zu müssen, dass es eigentlich um Macht oder Geld geht.

Wenn er gerade mal nicht für die Rechtfertigung von Mord und Totschlag gebraucht wird, ist Gott nämlich äusserst praktisch. Er eignet sich hervorragend, um die Nerven zu schonen und Sinnkrisen zu meistern. Er bietet eine einfache Erklärung für das Unverständliche, denn auch in unserer Wissenswelt ist noch einiges rätselhaft. Wenn etwas aus unerklärlichen Gründen schief läuft, kann man die Schuld bequem auf ihn abschieben und ihn anfluchen. Wenn man mal Glück hat, gibt’s dafür ein kleines Dankeschön. Das verhindert, dass man sich über Sachen den Kopf zerbricht, die einen eh nicht weiterbringen, und es hilft Krisen zu meistern, die urplötzlich über einen hineinbrechen. Denn wenn man von einer Pechsträhne verfolgt wird, ist ein klärendes Gespräch mit Gott meist tröstender als eins mit dem Zufall oder den Launen der menschlichen Psyche. So spart man Energie und lebt ausgeglichener. Risiken und Nebenwirkungen: Keine.

Dagegen

Natürlich existiert Er, ich bin kein Atheist! Es ist nur so, dass es der grosse, wenn auch etwas dickliche Mann da oben des öfteren nicht sonderlich gut meint mit mir. Und in unserer durch und durch aufgeklärten Gesellschaft sollte es erlaubt sein, auch an unseren Wolkenhüter eine ehrliche, konstruktive Kritik zu adressieren.

Grund genug für eine Beschwerde bot – nur um meine Sorge mit einem Exempel zu unterlegen – vergangener Samstagmorgen. «Liebe deinen Nächsten» heisst es etwa in der Bibel. «Teile dein Brot», oder was weiss ich. Auf jeden Fall konnte mir keine Form des Egoismus oder falsch begründeten Altruismus angelastet werden, als ich um 7 Uhr morgens in der S-Bahn nach Effretikon sass. Dort wohnt Andy, und der ist der Liebste meiner liebsten Schwester, nämlich meiner einzigen. Andy hat viele grosse, schwere Möbel, also zählte jeder Mann, als es darum ging, diese via Balkonkante und Gartendreck in den Umzugswagen zu hieven. Der rote Sofadreiteiler war besonders schwer, so dass mich heute noch ein schlechtes Gewissen plagt, dass dieser als Erinnerung an jenen denkwürdigen sonnigen Frühjahrsmorgen unsere Schweissflecken zu Grabe trägt. Beim Versuch, das zwar liebenswürdige, aber äusserst sperrige Möbel über eine im Lieferwagen verstaute Holzlatte (wo kam die her?) zu heben, schoss mir eine Hexe in den Rücken. Seither kämpfe ich mit dem Substantiv des beschriebenen Vorgangs.

Wo ist also ist die vielzitierte Gerechtigkeit? Die gibt es umgangssprachlich sowieso nur in der negativen Umkehrversion: «Gott straft sofort.» Eher sollte es heissen: «Gott straft sowieso», wenn ich an diesen versauten Wochenendtag zurückdenke. Wenn es also um egoistische, selbstgefällige Aktionen geht, kenne ich seither keine Skrupel mehr. Viel eher habe ich Angst, ein zu lieber Mensch zu sein. Mein Gott, Jesus wurde ans Kreuz genagelt, weil er zu lieb war! Himmelfahrt hin oder her, angesichts solcher Risiken muss man sich ein derartiges Commitment zum Herrn schon gut überlegen.

Wie kann man also seine Lebenszeit möglichst prügellos überstehen und trotzdem ein Gutmensch sein, um an der Pforte Gottes nicht abgewiesen zu werden? Seien wir realistisch: Wirtschaftlich gesprochen ist es doch ein Trade-off zwischen «Lebe den Tag» und «Sei nicht so egoistisch». Meine Bitte an Gott ist es deshalb, solche erfahrungstheoretischen Erkenntnisse bei seinem nächsten Relaunch der Menschheit mit zu berücksichtigen.