Zukunftsmusik: Der ortbare Student. Nicola Condoleo

Big Brother an der Alma Mater

Webcams in der Mensa und neue ortbare Legis. Klingt nach totaler Überwachung. Wie schlimm ist es wirklich?

10. April 2008

Auf der Website der Gastronomiebetriebe der ETH werden die Bilder von sechs Webcams live übertragen. Die Kameras beobachten die Eingänge der verschiedenen Mensen an der ETH Zentrum und auf dem Hönggerberg. Praktisch, wenn man sich informieren will, ob in den Mensen grosser Ansturm herrscht, denken wohl viele. Andere kriegen Gänsehaut und sprechen von Datenschutzverletzungen. Die Überwachung, beziehungsweise Beobachtung von öffentlichen Plätzen ist ein allgegenwärtiges Thema. George Orwell hat ein Buch darüber geschrieben. 1984 ist zwar schon lange vorbei, «Big Brother is watching you» aber aktueller denn je.

Aufregung an der ETH

Überwachung und Datenschutz waren in letzter Zeit auch an der Uni und der ETH ein Thema. Mit der Einführung der neuen Legi machten vor allem die Unistudenten einen grossen Schritt. Die harmlose Papierkarte wurde durch eine Plastikkarte mit Thermostreifen und RFID-Chip ersetzt. Die neue Legi und ihre sagenhaften Fähigkeiten waren in aller Munde. Dies nicht zuletzt aufgrund eines Artikels in einer Gratiszeitschrift, welcher die Eigenschaft des Ausweises behandelte, dank der RFID-Funktechnik ortbar zu sein. Aus diesem Grund sei «Unruhe unter den ETH-Studierenden» entstanden.

Im Artikel wird unter anderem auf einen Informatikstudenten hingewiesen, welcher der Legi mit einer Lochzange an den Kragen wollte. Daraufhin ist im Internetforum der Informatiker eine heisse Diskussion entbrannt. «Wir werden als paranoider Haufen dargestellt», meint der Informatik-Student Marco im Hinblick auf den Artikel. Sicher gäbe es solche, die sich übertrieben vor Datenschutzverletzungen ängstigen, diese seien aber in der Minderheit. Es liege jedoch in der Natur der Informatik-Studierenden, sich über die in der Legi steckende Technik Gedanken zu machen.

Überwachungstheorie ist Unsinn

Tatsächlich kann die Legi zusätzlich zu den bereits bekannten Funktionen neu auch als Bibliotheks- und Mobility-Ausweis, Türöffner, VBZ-Ticket, Zahlungsmittel und für die Steuerung von Garderobekästchen verwendet werden. Nicht alle diese Funktionen wurden aber bereits in Betrieb genommen. So müssen Architekturstudenten zusätzlich zur neuen die alte Legi noch immer bei sich tragen. Denn nur diese öffnet ihnen die ETH-Türen, wenn sie mal wieder eine Nachtschicht schieben. Die Legi wäre jedoch gerüstet.

Mit der Überwachungstheorie sind die paranoiden unter den Informatikern aber auf dem Holzweg. Registriert wird bei allen Funktionen nur die Kartennummer und einige technische Daten, welche auf dem RFID-Chip gespeichert sind. Dieser hat ausserdem eine Reichweite von höchstens fünf bis zehn Zentimetern. Für eine Verfolgung per Satellit ist das viel zu wenig. «Die Uni hat selbstverständlich keinerlei Interesse, persönliche Bewegungen der Studierenden aufzuzeichnen», betont Thomas Tschümperlin, Leiter der Abteilung Studierende der Uni Zürich. Die neue Legi sei ein moderner und zeitgenössischer Ausweis mit einer Technik, die von vielen anderen Betrieben ebenfalls genutzt werde. Auf den Internetauftritten der Uni und der ETH wird über die Funktionsweise der neuen Legi informiert. Auf beiden wird hervorgehoben, dass keine persönlichen Daten gespeichert werden.

Keine Rede also von Verfolgung oder Verletzung der Privatsphäre durch die Aufzeichnung persönlicher Daten. Mit jedem gesammelten Cumulus-Punkt, jedem Kommentar im Internet und jedem Geldbezug am Automaten hinterlassen wir mehr Spuren, als beim täglichen Gang an die Uni oder ETH. Die Legi ist nur eine weitere Karte im Geldbeutel. Und im Gegensatz zu anderen ist sie geradezu harmlos.

Links

www.uzh-karte.ch

www.ethz-karte.ch