Erschwerter Weg vom Gedanken bis zum sprachlichen Ausdruck. Sandra Kühne

Wenn Stottern zum Alltag gehört

Vorträge halten, Diskussionen führen, Sprachen lernen. Für viele Studierende ein Grund, nervös zu werden. Lukas, Stefan und Martin kämpfen mit einem weiteren Problem: Sie stottern.

12. März 2008

Du stehst vorne in einem Seminarraum, ungefähr 20 Leute hören dir zu und warten auf deinen Vortrag. Du hast dich gut vorbereitet, bist den Ablauf mehrere Male durchgegangen, hast Kärtchen geschrieben. Trotzdem zittert deine Stimme, du verhaspelst dich und musst nach Worten suchen. Eine bekannte Situation? Niemand kommt drum herum, irgendwann während des Studiums vor anderen Leuten zu sprechen. Dieser unangenehmen Situation begegnen die drei Studenten Lukas (32, Psychologie), Stefan (26, Doktorand an der ETH) und Martin (22, Wirtschaft) in ähnlicher Weise im täglichen Leben: sie stottern. Kennengelernt haben sie sich über die Gruppe «Stottern in Zürich», die sich seit Herbst 2005 alle zwei Wochen an der UZH trifft.

Hürden im Studialltag

«Anfangs hatte ich Mühe, den Anschluss zu finden. Gerade in Zürich ist es sehr gut möglich, für sich alleine zu studieren», erinnert sich Lukas an seine Zeit als Erstsemestriger. Diese Anonymität habe er voll ausgenutzt. Er stotterte sich durch Referate und fühlte sich danach meistens schlecht. Bald brach er das Studium ab. In der Studienpause beschäftigte er sich mit Therapien. Sein zweiter Versuch zu studieren sei erfolgreicher gewesen: «Ich merkte, dass Referate eigentlich sehr einfach sind, denn da kann dir niemand dazwischenreden», erklärt er. Heute meldet er sich regelmässig zu Wort – auch in Vorlesungen mit mehreren hundert Zuhörern. Martin hingegen meidet mündliche Beteiligungen. «Ich stottere sehr ungern andere Leute an. Die eintretende Stille, wenn ich nicht weitersprechen kann, empfinde ich als sehr unangenehm», erklärt er. In Seminaren, wo die mündlichen Beiträge zur Note beitragen, meldet sich Martin trotzdem. «Da sind meistens weniger als zehn Leute, denen ich vorher sagen kann, dass ich stottere», erkärt er. Selten Probleme mit Präsentationen hat Stefan, da er sich jeweils ausgiebig vorbereitet. «Mein Studiengang ist dazu recht praktisch: Wenn ich die richtige Formel an die Tafel schreibe, muss ich dazu nicht mehr viel sagen», erklärt er schmunzelnd. Dagegen ist es für ihn schwierig, nach Vorträgen Fragen zu stellen – vor allem, wenn diese auf Englisch sein sollen.

Stottern auf Englisch

Wenn Stefan spricht, wechselt er Wörter aus, die er nicht aussprechen kann. Da sein Wortschatz auf Englisch viel kleiner ist als im Deutschen, fällt ihm das Sprechen schwerer. Heute, wo er Englisch täglich brauche, spreche er immer besser und flüssiger. Für Martin und Lukas ist es gerade umgekehrt: Schriftsprache und Englisch bereiten ihnen weniger Probleme. «Meine Stimme ist anders, ich bin dann sozusagen eine andere Person», erklärt Lukas, «darum laufen auch meine Vorträge so gut.» Doch es kommt auch auf die Fremdsprache an: Martin spricht lieber Englisch als Französisch, weil er in letzterer Sprache Probleme mit bestimmten Silben hat. Um über all diese Hindernisse sprechen zu können, hatte Lukas die Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. «Wir reden einfach und tauschen Erfahrungen und Tipps aus», erklärt er. Die Mitglieder seien alle sehr unterschiedlich. «Die einen leben damit, wie wenn nichts wäre. Andere ziehen sich völlig zurück», sagt Lukas. Es seien für ihn sehr ermutigende Treffen.