Verletzte Pflanzen schmecken ihr nicht. Stefan Dahinden

Raupen gegen Pflanzen

Angehende Biologen und Biochemiker untersuchen in einem Fachkurs das Prinzip «Fressen und gefressen werden».

12. März 2008

Konzentriert schnippseln ein paar Studierende in einem Labor mit einer feinen Schere winzige Löcher in eine Pflanze. Behutsam setzen sie danach einige Raupen auf den Blättern aus. Die eigentliche Herausforderung liegt aber nicht in diesem Scherenschnitt mit Pflanzen. In den drei Wochen des Kurses «Verhaltensökologie der Insekten» entwickeln die Teilnehmer ein eigenes Experiment, das Antwort auf eine vorher überlegte Fragestellung geben soll.

Folgendes Material haben die Studierenden zur Verfügung: Zwei verschiedene Sorten Apfelpflanzen, zwei Raupenarten sowie parasitische Wespen als natürliche Gegenspieler der Raupen. Die Art und Weise der Interaktion zwischen diesen drei Organismen verläuft nach dem Motto «Fressen und gefressen werden». Die Pflanze wird von einer Raupe angefressen. Die Raupe selbst hat auch kein leichtes Spiel, sondern wird von einer parasitischen Wespe als Brutstätte für ihre Eier missbraucht. Schlüpfen die Wespenlarven, fressen sie die Raupe von innen her auf und befreien so die Pflanze von ihrem Parasiten. Interessanterweise ist die Pflanze bei solchen Interaktionen oft aktiv daran beteiligt. Einige Pflanzenarten rufen nämlich eigens die Feinde der Schädlinge durch chemische Signalstoffe herbei. Eine andere Taktik besteht darin, toxische Substanzen zu produzieren, um die Raupen vom Verzehr der Blätter abzuhalten.

Raupen im Kühlschrank

Die Biologiestudentin Meret Signer nahm letzten Oktober an diesem Kurs teil und untersuchte mit ihrer Gruppe, ob Raupen, die vor dem Kontakt mit der Pflanze unterschiedlichem Stress ausgesetzt waren, ein verändertes Fressverhalten zeigen. Die Raupen wurden für das Experiment Kälte-, Wasser- oder Hungerstress ausgesetzt, womit verschiedene Umweltbedingungen simuliert werden sollten. Auch die Pflanzen wurden vor dem Experiment präpariert: Die Studierenden schnitten mit einer Schere Löcher in die Blätter, worauf die Pflanze als Antwort auf die Verletzung beginnt, Kohlenhydrate zu akkumulieren, was sie im Normalfall für Raupen als Nahrung deutlich attraktiver macht. Weitere Apfelpflanzen wurden einige Tage vor dem Experiment mit Raupen der Baumwolleule bestückt. Wie bereits erwähnt, reagieren einige Pflanzen spezifisch auf die Frasswunden durch Raupen, indem sie toxische Stoffe herstellen, welche Raupen fernhalten und somit der Pflanze zur Resistenz gegen Frassfeinde verhilft. Signer und ihre Mitstudenten nahmen nun an, dass die gestressten Raupen keinerlei Präferenz zwischen den beiden unterschiedlich präparierten Pflanzen machen würden, da sie zur Kompensation des durch den Stress erlittenen Defizits jede Nahrung akzeptieren würden. Die Resultate ihres Experimentes fasst Signer so zusammen: «Die unterschiedlichen Stressfaktoren hatten keinen Einfluss auf das Frassverhalten der Raupen, unsere Erwartung wurde leider nicht bestätigt.»

Fragestellung formulieren

Trotzdem hatte der Versuch aber über einige Sachverhalte Aufschluss gegeben und bestehende Theorien bestätigt. Für die Studierenden ist es oft neu, ein eigenes, sinnvolles Versuchsdesign zu gestalten, «aber genau darum ist es auch ein sehr spannender Kurs», meint Signer.

Karsten Mody, einer der Leitenden dieses Blockkurses, bestätigt diese Aussage und betont die Zielsetzung des Kurses: «Die Studierenden werden so an das wissenschaftliche Arbeiten herangeführt. Sie haben ja zu diesem Zeitpunkt noch wenig Erfahrung mit der Forschung.» Sie gäben den Akademikern absichtlich keine fertig formulierten Themen vor, damit diese eine eigene Fragestellung und auch das Experiment dazu selber entwickeln müssten, erklärt Mody. Dies gebe den Studierenden schöpferische Freiheit sowie die Möglichkeit, eigene Ideen umzusetzen. «Wir versuchen auch, talentierte Studierende dazu anzuregen, ihre Theorien weiterzuverfolgen und ihr Interesse für die angewandten Insektenwissenschaften zu wecken. Mody, der sich selber momentan mit der Entwicklung von natürlichen Schutzsystemen von Pflanzenanordnungen beschäftigt, findet die Ansätze der Studierenden oft sehr interessant. Er sieht im Kurs auch eine Plattform, um neue Informationen und eventuell sogar weitere Puzzlesteine zu diesem vielschichtigen pflanzenwissenschaftlichen Gebiet zu erhalten.

Rauchende Köpfe

Dass sie mit ihrem Dasein Studierenden zum Erarbeiten der wissenschaftlichen Arbeitsweise verhelfen, wissen die Raupen natürlich nicht. Sie bekommen lediglich die unangenehmen Seiten der studentischen Experimentierfreudigkeit zu spüren. Als kleiner Trost für zartbesaitete Studenten und Studentinnen sei hier aber betont: Alles lassen sich die gestressten Herbivoren trotzdem nicht gefallen, vielmehr sorgen sie mit ihrem unveränderten und sturen Frassverhalten bei den angehenden Wissenschaftlern für rauchende Köpfe und unbestätigte Theorien. Was wiederum die Leitenden des Kurses bestärkt: Hier kann ruhig noch weitergeforscht werden. Das Puzzle ist noch lange nicht komplett.

Kursangebot:

Die ETH Zürich bietet dieses Jahr zum zweiten Mal diesen Fachkurs an. Die Thematik fokussiert auf die Interaktionen zwischen Pflanzen und ihren Schädlingen, sowie deren natürlichen Feinden. Der Kurs wird von Karsten Mody und Dominique Mazzi, beides Oberassistenten am Institut für Pflanzenwissenschaften der ETH, geleitet.

Kursteilnehmer:

Der Kurs wird für Studierende beider Zürcher Hochschulen angeboten. Studierende der Biologie und Biochemie im 5. Semester können unter mehreren möglichen Blockkursen auch diesen auswählen.