Brief aus Wien

12. März 2008

Könnt ihr euch an die Kolumne #1 erinnern? Da sollte ich über etwas schreiben, das mir nicht bekannt war. Jetzt steht #4 an. Und ich soll über etwas schreiben, das mir nicht vertraut ist. Die Wiener Uni. Nein, keine Sorge Mamma, ich studiere ja schon – bloss nicht an der Uni. Wieso auch? Da hat es nicht einmal Tische im Seminarraum, die Bibliotheken sind immer überfüllt und die sechs Euro fürs Mensaessen werden halt auch lieber in Falafel vom Maschu und einen Mélange im Café Jelinek investiert.

Was also wollt ihr hören? Dass die Zulassungsbeschränkungen an der Meduni zu Hörsaalschlägereien zwischen deutschen und österreichischen Studierenden führen? Dass jeden Mittwoch vor der Hauptuni ein Stelldichein von Burschenschaftlern, Polizisten und einzelnen Antifaschisten beobachtet werden kann, während einem das Mittagessen beim Chinesen vis-à-vis verleidet? Dass das Betreuungsverhältnis am Institut für Publizistik schlechter ist als in Zürich? Dass das IPK auf vier Häuser in drei Bezirken verteilt ist und dass auch hier die Bücher in der Bibliothek bleiben? Oder wollt ihr euch fragen, wieso eine Seminararbeit von sieben Seiten einen Schein einbringt und ein Literaturbezug bei einer empirischen Arbeit einfach nur wünschenswert ist?

Ich könnte auch von der traditionellen, sicherheitsorientierten Wiener Frau Professor berichten, die sich in jeder Seminarsitzung auf Wertediskussionen mit dem hedonistischen Göttinger Doktoranden einlässt und die Studierenden dabei völlig vergisst, was mich irritiert, da sich die Österreicher (gemäss dem European Social Survey) den Wert Spass ganz gross aufs Leiberl schreiben, was mich wiederum zu dem Wert führt, der in den Wiener Gassen von Videokameras gejagt und gefangen genommen wird, und über den ich schreiben will, aber nicht schreiben werde, da dies der grosse Wiener Liedermacher auf wunderbarste Weise schon getan hat.

Georg Danzer, Freiheit: Was ganz Feines aus Wien!