Dunkle Wolken über dem ETH-Himmel. Jan Spitz

Eine düstere Zukunft für die ETH

Ab Herbst 2008 können Studierende einen Master-Studiengang in Nukleartechnologie belegen. Gesponsert wird er von den Stromunternehmen. Bestimmt in Zukunft die Industrie das Lehrangebot der ETH?

11. März 2008

Wir schreiben das Jahr 2023, vor 20 Jahren nahm die ETH Foundation ihre Arbeit auf – und hat ganze Arbeit geleistet. Über 60 Prozent der Einnahmen der heutigen GSC (Google School Zurich) stammen aus Drittmitteln. Die GSC ist aus einer Fusion von UZH und ETH hervorgegangen. Auch der Studialltag hat sich verändert. Wir begleiten Sandra an ihrem Erstsemestrigentag. Die Studentin hat sich für für den Studiengang «Convenience Food» von Nestlé entschieden. Ebenfalls zur engeren Auswahl zählte sie die Programme «Investment Banking» der Credit Suisse und «Military Technology» der Ruag. Doch die guten Jobaussichten bei Nestlé bewogen sie, in Richtung der Sparte Nahrungsmittel zu gehen. Eigentlich hätte sie ja gerne ein sozial- oder geisteswissenschaftliches Studium gewählt. Doch die hohen Kosten und der karge Lohn sprachen klar dagegen.

Ikea statt SV Services

Bevor Sandra an diesem Morgen zur nächsten Zürcher Metrostation rennt, checkt sie ihre brandneue Mail-Adresse sandra.mueller@student.gmail.com. Um das Hauptgebäude zu betreten, zückt sie ihre GSIC (Google Student Information Card) und zieht sie durch den Scanner. Grün blinkt das Google-Logo, und sie betritt die Schule. Vor dem gigantischen Infoscreen bleibt sie stehen und sucht unter den unzähligen live übertragenen Vorlesungen die ihrige. Um 9.37 Uhr hat sie begonnen, auf Englisch mit chinesischen Untertiteln, sie ist also nur wenig zu spät. Die zwei Sprachen sind heute Standard und an der GSC auch die offiziellen Unterrichtssprachen. Der Dozent von Nestlé eröffnet die Vorlesung über die jahrelange Erfahrung des Konzerns im Bereich der Lifestyle-Produkte. Pünktlich zur Halbzeit nimmt Sandra ihre Methylphenidat-Präparate, um auch den zweiten Teil ihrer Vorlesung konzentriert aufnehmen zu können. Um 12.30 Uhr trifft sie Maria, eine alte Kollegin vom Gymnasium, mit der sie fürs Mittag-essen abgemacht hat. Sie entscheiden sich für Köttbullar mit Kartoffelstock, dazu zwei isotonische Getränke mit Orangengeschmack. Dank der IKEA serviert das Restaurant vor allem schwedische Spezialitäten und die Menüs kosten nur drei Franken. Dafür darf die Firma die Polyterrasse immer mit den neusten Produkten möblieren.

Parmaschinken ohne Fett

Ihre ersten Prüfungen besteht Sandra ohne grössere Probleme. Unter anderem, weil sich eine Gruppe Studierender zum ersten Mal geweigert hat, mit Methylphenidat zu lernen. Selbstverständlich fiel der grösste Teil durch. Nun steht die erste praktische Arbeit an. Sandra will Möglichkeiten untersuchen, den Fettanteil von Parmaschinken unter die 1-Prozentmarke zu drücken – nicht zu Lasten des Geschmacks. Nach einigen Wochen mühsamem Mailverkehr mit der Research-Abteilung von Nestlé hat sie grünes Licht erhalten. Der Verwertungsgrad ihrer Studie wird als «gut» eingestuft. Es ist eminent wichtig, dass Nestlé solche Semesterarbeiten absegnet. Denn die Sponsoren der verschiedenen Studiengänge führen Fichen über die Aktivitäten und Ergebnisse der Studierenden. So können sie von ihrem Recht, ihren Studienabgängern exklusiv Jobangebote zu unterbreiten, besonders gut Gebrauch machen. Wer Geld zahlt, fordert auch Gegenleistungen.