Luis Navarro

Der Untergang des Abendlandes

Tradition unter Beschuss: An der Universität Zürich wird langsam über die Abschaffung des Latein-Obligatoriums diskutiert.

11. März 2008

Wer kennt ihn nicht: den Kommilitonen, der Geschichte studiert und kurz vor dem Lizentiat steht, aber den obligatorischen Latein-Nachweis noch immer nicht vorweisen kann? Entweder verbringt er seine letzten Semester mit dem Büffeln von Vokabeln oder er wechselt das Fach.

In Zukunft wird solchen Studis dieser Frust vielleicht erspart bleiben. Denn das Latein-Obligatorium scheint zunehmend in Frage gestellt zu werden. Nicht ganz unschuldig an der Entwicklung ist die Bologna-Reform. Am Deutschen und am Philosophischen Seminar schaffte man im Zuge der Umsetzung von Bologna das Lateinobligatorium in den meisten kleinen Nebenfächern ab. Auch am Historischen Seminar wurde die Lateinpflicht für das kleine Nebenfach in Prähistorischer Archäologie abgeschafft. Seminarvorsteher Carlo Moos geht einen Schritt weiter. Er plädiert dafür, auch für das grosse und kleine Nebenfach Geschichte der Neuzeit keinen Lateinnachweis mehr zu verlangen.

Weniger Studis, weniger Geld

«Der grösste Widerstand gegen einen solchen Entscheid wird wohl aus internen Kreisen kommen», meint Moos. Wenn Moos das Latinum teilweise abschaffen will, dürfte er wohl auch die Ausstattung seines Instituts im Auge haben. Unter Studierenden am Historischen Seminar wird gemunkelt, dass die für 2010 geplante Professur für Militärgeschichte eventuell nicht finanziert wird, wenn die Studierendenzahlen relativ zu anderen Studienfächern weiter sinken. Viele sehen den Grund dafür im Latein-Obligatorium, welches einige Studierende abschreckt.

Mobilität gewährleisten

Die Anglisten haben diesen Gedanken schon am weitesten in die Praxis umgesetzt. Das Latinum soll für den Masterstudiengang nicht mehr obligatorisch sein. Das Begehren muss aber noch auf Fakultätsebene abgesegnet werden. Seminarvorsteher Andreas Jucker ist es vor allem ein Anliegen, dass die durch Bologna neu gewonnene Mobilität gewährleistet werden kann. «Momentan entscheidet sich ein grosser Teil der interessierten ausländischen Studierenden gegen ein Masterstudium an der Universität Zürich, da viele nicht bereit sind, für das zweijährige Studium ein zusätzliches Jahr für das Latinum aufzuwenden.»

Kommentar

Kommentar:

Die Diskussionen um das Latein-Obligatorium haben begonnen – auch wenn noch niemand Farbe bekennen will. Fakt ist: Die Realität hat das Gesetz überholt. Wer im Fach Geschichte die richtigen Seminare auswählt, kommt nie mit Latein in Kontakt. Fakt ist auch: Die Studierendenzahlen der Latinum-Fächer sinken relativ zu anderen, ähnlichen Studiengängen ohne Latein-Obligatorium. Weniger Studierende heisst weniger Geld und Personal. Spätestens wenn es an die eigene Substanz geht, wird sich die Professorenschaft der betreffenden Fächer ernsthafte Gedanken machen müssen. [job]