Wie eine richtige Redaktion

Retraite ins idyllische Toggenburg mit unbekanntem Ausgang.

22. Februar 2008

- Anna Gossenreiter über ihre Zeit bei der ZS

Eine Zeitung machen zu können, völlig frei vom Druck marktwirtschaftlicher, verlegerischer, taktischer, politischer, finanzieller Überlegungen. Du hast eine Idee, und schwupp ist sie in der Zeitung, ohne Schere im Kopf, und ohne dass ein Chefredaktor bedenklich seinen Kopf wiegt. Die Auseinandersetzung mit den anderen Redaktionsmitgliedern, die Freundschaften, die Diskussionen, das Feuer, der Enthusiasmus. Und das kollektive Zittern, die bange Frage, ob Constantin Seibt seinen Text einreichen würde, bevor der Velokurier ungeduldig im Büro steht, und die Unterlagen für den Druck mitnehmen will, erscheint im Nachhinein sogar reizvoll.

Das Wissen, dass theoretisch alle Studis lesen können, wie du eine bestimmte Vorlesung, oder eine gehypte Modeströmung geisselst (bei uns waren das die Dekonstruktivisten, Derridada und Lacancan), gab schon einen gewissen Adrenalinschub beim Schreiben.

So wie ich mich erinnere (wobei sich bekanntlich je nach Tagesform jeder an anderes erinnert), ging es zwar auch um politische Inhalte, um Unipolitik, um Geschlechterfragen usw. Wir wollten aber immer auch eine lustige, unterhaltende Zeitung machen. Die «Monster»-Kolumne von Constantin zeugt davon.

Wir waren an der Birchstrasse in Oerlikon untergebracht, in einem Haus, wo auch Tiere für Laborversuche gehalten wurden. Ich habe nie eines zu Gesicht bekommen, aber es roch immer angenehm nach Meerschweinchenstall und Heu.

Sicher ist auch die «ZS» ein Versuchslabor für alle möglichen Leute, die später meist auf irgendwelchen Redaktionen landen. Ursula von Arx schreibt heute für das «Magazin», Make Storrer und mich hat es zum Fernsehen verschlagen.

Vesna Tomke, die (als «Ex-Jugoslawin») mit grosser Vehemenz über die «Jugos» hergezog, als es bei der SVP noch nicht in Mode war, habe ich aus den Augen verloren. Sie war ein Energiebündel, eine Kämpferin, gegen Ungerechtigkeit, gegen Machos. Zwischenzeitlich, so scheint es, hatte sie etwas Mühe, ihre unglaubliche Energie zu bündeln, und gut zu nutzen.

Wie eine «richtige Redaktion» machten wir auch mal eine Retraite, irgendwo im Toggenburg glaube ich, es hatte Schnee, war sehr idyllisch, und war wirklich lustig. Was es inhaltlich gebracht hat, weiss ich nicht mehr.

Eigentlich wäre ich gerne länger und intensiver dabei gewesen. So frei und eigenverantwortlich wie bei der ZS kann eine Journalistin später kaum mehr schreiben, beziehungsweise publizieren.

Anna Gossenreiter, 42, ist Journalistin bei «10vor10», Schweizer Fernsehen. Davor war sie für die Rundschau tätig.