Der Ort des Aufpralls: Blick in einen Detektor des LHC während der Bauphase. CERN

Big Bang in a Box

Wissenschaftler am CERN verschieben mit dem weltgrössten Teilchenbeschleuniger die Grenzen der Physik.

22. Februar 2008

Alles begann vor 13,7 Milliarden Jahren, als in einer gewaltigen Explosion Raum, Zeit und Materie erschaffen wurden. Das Universum war damals unglaublich heiss und dicht. Zustände wie kurz nach dem Urknall werden bald auch wieder am CERN bei Genf herrschen, denn hier wird zurzeit der weltweit grösste Teilchenbeschleuniger fertig gestellt, der LHC.

Muttertheorie

Worum geht es eigentlich? Die fundamentale Frage der Physik ist die nach den kleinsten Bausteinen unseres Universums, den Elementarteilchen wie Elektronen oder Quarks, und wie diese untereinander wechselwirken. Das heisst mittels welcher Kräfte diese verschiedenen Teilchen kommunizieren. Bislang sind vier Kräfte bekannt: Der Elektromagnetismus ist dafür verantwortlich, dass sich Protonen und Elektronen zu Atomen zusammensetzen; die starke Kraft bindet Quarks zu Protonen und Neutronen zusammen; die schwache Kraft wirkt bei radioaktiven Zerfällen und ermöglicht indirekt der Sonne das Leuchten; die Gravitation schliesslich lässt den Mond um die Erde kreisen. Für sich genommen sind diese Kräfte gut verstanden. Da Physiker aber monistisch veranlagt sind, glauben sie, dass all diese Wechselwirkungen unterschiedliche Manifestationen eines Grundprinzips sind. Dieses wird häufig mit dem schönen Namen Weltformel betitelt, welcher der Tatsache Rechnung trägt, dass die Welt der physikalischen Theorien heute mehr einer Patchworkdecke gleicht, während die Physiker sich eigentlich eine Theorie von allem wünschen, eine Vereinheitlichung, eine Muttertheorie, aus der sich dann all die Stofffetzen als Spezialfälle ableiten lassen, deren jeder seine Gültigkeit für einen begrenzten Anwendungsbereich in der Vergangenheit bewiesen hat.

Unterirdischer Ring

Die Werkzeuge zur Erforschung des Mikrokosmos sind Teilchenbeschleuniger. Ab diesem Jahr sollen hier im Experiment Kollisionen zwischen Protonen Bedingungen schaffen, wie kurz nach dem Urknall: Mini Big Bangs. Der LHC, der Large Hadron Collider, ist das neue Flaggschiff des CERN. Der seit dem Jahr 1999 im Bau befindliche Beschleuniger hat die Form eines gigantischen Rings, 27 km im Umfang in 100 m Tiefe, in dem Protonen in entgegengesetzten Richtungen mittels elektromagnetischen Fel​dern auf hohe Energien beschleunigt und an einer bestimmten Stelle zur Kollision gebracht werden. Dort befindet sich ein Detektor, der das Resultat jeder Kollision misst und aufzeichnet. Bei 600 Millionen Kollisionen pro Sekunde, die bei voller Leistung erreicht werden sollen, kommen hier gigantische Datenmengen zusammen. Gegenüber seinem Vorgänger, dem LEP Experiment (Large Electron Positron Collider), werden beim LHC höhere Energien erreicht, und je höher die Energie ist, umso genauer kann der Mikrokosmos vermessen werden.

Zusammenstösse

Was geschieht bei einer solchen Teilchenkollision? Elementarteilchen sind wie Blasen reiner Energie mit gewissen internen Eigenschaften. Dass diese auch massiv sind, ist aufgrund von Einsteins berühmter Formel E=mc2 zu verstehen, denn diese besagt, dass die Energie E eine Masse m besitzt. Eine altmodische Armbanduhr, die man aufziehen muss, bringt nach dem Aufziehen mehr Gewicht auf die Waage als vorher, denn durch das Aufziehen wurde Energie in ihr gespeichert.

Werden nun zwei Energieblasen zur Kollision gebracht, so materialisieren sich aus der kombinierten Energie beider Blasen neue Teilchen. Geschieht dies rein zufällig? Ja und nein. Ja, denn das Resultat einer Kollision ist tatsächlich zufällig. Nein, denn sowohl diese Zufälligkeit als auch die möglichen Kollisionsergebnisse folgen einem Gesetz, und die Aufgabe der Physiker ist es, diesem Gesetz auf die Schliche zu kommen. Ein Physiker überlegt sich eine Theorie, einen Satz von Formeln wenn man so will, und berechnet mit ihr die Wahrscheinlichkeit eines Kollisionsergebnisses. Können die Wahrscheinlichkeiten vorhergesagt werden, dann ist die Theorie richtig, sonst nicht und die Suche geht weiter.

Terra incognita

Heute gibt es viele hypothetische Theorien, und der LHC soll helfen, diese zu bestätigen oder zu widerlegen. Viele dieser Hypothesen sagen die Existenz von bisher noch nicht gefundenen Teilchen voraus, beispielsweise die des legendären Higgs-Teilchens, von dessen Vorhandensein fast alle Physiker überzeugt sind, das aber noch nie in einem Experiment gesehen wurde. Andere Physiker glauben an die Existenz von Extradimensionen, die wir zwar nicht direkt wahrnehmen können, in denen sich aber zum Beispiel die Gravitationskraft ungehindert tummeln kann. Selbst die Erzeugung von kleinen Schwarzen Löchern wird nicht ausgeschlossen. Alles ist möglich am LHC, denn die Physiker dringen in bisher unbekannte Energiebereiche vor, die Terra incognita der Teilchenphysik.

*David Noth ist Physik-Doktorand an der Universität Zürich.

Was ist das Cern?

CERN steht für Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire. Die internationale Einrichtung in der Nähe von Genf hatte sich zu ihrer Gründung 1954 der Erforschung der Atomkerne (Nucleus) und seiner Konstituenten, den Protonen und Neutronen, verschrieben. Sieben Jahre später begann man zu verstehen, dass auch diese eine Substruktur besitzen, sich nämlich aus Quarks zusammensetzen. Heute beschäftigen sich die Forscher dort nicht mehr mit Kernen, sondern dringen mit immer höheren Energien in den Mikrokosmos vor, und dieser wird von so vielen unterschiedlichen Elementarteilchen (elementar, weil nicht zusammengesetzt) und Teilchen bevölkert, dass inzwischen von einem Teilchenzoo gesprochen wird. Konsequenterweise lautet der gebräuchliche Titel daher heute auch European Laboratory for Particle Physics, allerdings wurde das Akronym CERN beibehalten.