Wer trotzdem hingeht, muss wohl oder übel im Dienst büffeln. Lukas Messmer

Achtung! WKs gefährden das Studium

Nach drei Wochen Abwesenheit ist der Zug abgefahren. Die verlorene Studienzeit ist schwer aufzuholen. Die Entschädigung: Mickrige 54 Franken am Tag.

22. Februar 2008

Väterchen Staat ist unerbittlich. Nach absolvierter Rekrutenschule (RS) trudelt der Marschbefehl jährlich in den Briefkasten, und das mindestens sechs Mal. Drei Wochen grüne Ferien sind Pflicht; egal ob während oder neben dem Semester, der Student muss einrücken. Und wer Pech hat, muss noch eine Woche vor dem Wiederholungskurs (WK) als Handlanger zum sogenannten Kadervorkurs einrücken. Drei oder vier Wochen von insgesamt 14 im Semester sind viel, eine Abwesenheit in dieser Länge reicht aus, um Prüfungen zu vermasseln. Auf die Semesterferien kann die Militärmaschinerie keine Rücksicht nehmen: «Das ist unmöglich, nur 10-12% der Armeeangehörigen sind Studierende. Ausserdem würde zuviel Infrastruktur brach liegen und die Bereitschaft wäre nicht gewährleistet», erklärt Felix Helbling, Chef Personelles der Territorialregion Ostschweiz.

Dazu kommt, dass Studierende normalerweise nicht soviel arbeiten, als dass sich der Erwerbsersatz lohnen würde. Während Angestellten ihr Lohn meistens weiter gezahlt wird, zeichnet sich für die Studierenden ein tristes Bild. Die mickrigen 54 Franken pro Tag sind ein Butterbrötchen im Vergleich zum Lohn, den man in diesen drei Wochen mit einem Nebenjob erzielen würde. Und während in der Privatwirtschaft Arbeitskollegen aushelfen, kann niemand anders die liegengebliebenen Studienleistungen erbringen.

Weichenstellung nach Matura

Einmal im Rang eines Soldaten, ist es ungleich schwieriger, von der Dienstpflicht wieder loszukommen als in der RS oder bei der Aushebung. Das Geld und die Zeit, das die Armee in den Rekruten investiert hat, verliert sie nicht gerne wieder. «Nach drei verpassten WKs ist ein Soldat weg vom Fenster. Das in der RS erworbene Wissen geht verloren», sagt Helbling. Es lohnt sich also, nach erfolgreicher Matur gut zu überlegen, wie man seinen Dienst absolvieren will – oder eben nicht. Das Durchdienen ist eine Möglichkeit, spätere WKs während dem Studium zu verhindern. Nach 300 Tagen am Stück ist die Sache ein für allemal erledigt. Wer keinen Dienst leisten mag, kann sich heutzutage ohne grosse Mühe untauglich stempeln lassen oder Zivildienst leisten. Letzterer ist frei einteilbar und verträgt sich somit gut mit dem Studium, dauert aber anderthalb mal so lang. Lassen sich die WKs nicht umgehen, kann man versuchen, sich die Diensttage angenehm zu gestalten. Eine Umteilung ist aber schwierig, dazu braucht es vor allem Vitamin B: Entweder kann ein Offizier glaubhaft machen, dass man in seiner Spezial-Einheit gebraucht wird, oder man geht den Weg des Gesuchs. Beliebte Orte sind etwa die Militärbibliothek (Historiker), Ausgrabungsstätten auf Militärboden (Archäologen) oder Stellen im Kommunikationsbereich (Medienwissenschaftler).

Aufschieben als letzte Hoffnung

Doch auch dann: «Militärdienst und Studium lassen sich nicht vereinbaren», ist Student Thomas überzeugt. Drei Wochen Absenz würden ausreichen, um nicht mehr mit dem Stoff mitzukommen. «Und in den Ferien müssen Arbeiten geschrieben werden. Es geht einfach nicht», erklärt er. Als letzter Ausweg bleibt die Dienstverschiebung, welche rege beansprucht wird.

Rund 30% der Angehörigen der Armee würden ihre WKs verschieben, da-runter sei ein «grosser Teil Studierender», bestätigt Armeesprecher Felix Endrich. Laut Militärverordnung ist für eine Bewilligung des Gesuchs eine wichtige Prüfung innerhalb von zwölf Wochen nach dem WK nötig. Weil aber Leistungsnachweise wie Arbeiten oder Vorträge nicht unter diese Regelung fallen, wird auch einmal ein Auge zugedrückt. «Für die Universität Zürich ist das Studium prioritär», sagt Thomas Tschümperlin von der Abteilung Studierende, «da sind wir grosszügig.»

Auch bei der Armee hat man unterdessen gemerkt, dass die Situation für Studierende untragbar ist.

Vom Paragraphen zur Weisung

«Das Problem ist akut. Die Koordination von Studium und Militärdienst klappt momentan gar nicht», erklärt Helbling. Allerdings verortet er das Problem bei den Hochschulen. Weil die Studienzeiten und Prüfungssessionen sehr heterogen seien, könne man unmöglich darauf eingehen. Zur Zeit würden alle Dienstverschiebungsgesuche als Einzelfälle beurteilt. «Wir schauen an, was zur Erreichung der ECTS-Punkte nötig ist und entscheiden dann», sagt er. Damit diesbezüglich auch Grundlagen vorhanden sind, werde die entsprechende Militärverordnung zur Zeit überarbeitet. Der Paragraph 31, der die Gründe für die Bewilligung eines Gesuchs festhält, wird rausgekippt. Dessen Inhalt soll neu in einer Weisung stehen, die im Februar in Kraft treten wird Die gute Nachricht: Anstatt von Prüfungen wird fortan von «Qualifikationen» gesprochen, die Armee berücksichtigt also auch andere Leistungsnachweise. Die schlechte Nachricht: Die Frist von zwölf Wochen fällt weg. Ob und wann ein Gesuch bewilligt wird, hängt in Zukunft also von der beurteilenden Person ab. Heute bleibt bei einer Ablehnung – wenn man nichts verpassen will – nur noch der Weg in die Illegalität: Verweigern und hoffen, dass die Militärpolizei nicht vor der Türe steht. Wiedererstattbare Flugtickets kaufen und Auslandsreisen vorgaukeln. Module buchen und wieder stornieren. Klar ist auf jeden Fall: Jährliche WKs gefährden ein erfolgreiches Studium.